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Neulussheim - Gewalt2003-1
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Neulussheim: Acht 12 bis 19jährige töten Johann Babies im Wald am
15.10.2003
Dokumentation und Archiv
Informationen ab 12.12.2003
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Johann Babies in
Neulussheim
irgendwann vor Oktober 2003
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Die Hütte
von Johann Babies im Neulußheimer Wald am 17.10.2003
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Am
4.12.2003 ist die Hütte
abgerissen und "sauber" planiert.
Warum nur?
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Ihnen
geht es immer noch zu gut
Zum GB-Eintrag von
Dieter Scheck 04.10.2004
Ich kann dem Beitrag von Dieter Scheck nur Zustimmen. Er hat die
Probleme sachlich aufgeführt. Und trotzdem will ich seinen Beitrag noch
etwas ergänzen mit meiner eigenen Einschätzung: Ich, das ist ein
35-jähriger "Erwachsener" der oftmals noch vom Kopf her wie ein
Jugendlicher zu denken vermag, kapiere einfach nicht, was manchmal in
den Köpfen der "Kids" vorgeht.
Vor 20 Jahren war ich auch kein Musterknabe, und wir haben damals auch
ziemlichen Mist gebaut. Und geprügelt haben wir uns auch. Nur war es
halt so, das der Kampf vorbei war, wenn der andere am Boden lag.
Heutzutage ist es ja so, das derjenige, der am Boden liegt, nochmal
richtig eins in die "Fresse" bekommt. Und warum ? Nur damit der andere
als supercooler Gangster vor seinen Freunden dastehen kann ???
Es ist leider unbestreitbar, das die Gewaltbereitschaft in unserer
Gesellschaft, und auch besonders bei Jugendlichen, stark zugenommen hat.
Hemmschwellen gibt es eigentlich keine mehr. Wenn dann aber Argumente
kommen, das ein Mitgrund die schlechten Zeiten in unserem Land sind,
dann kann ich darüber eigentlich nur lachen. Obwohl es mehr zum heulen
wäre.
Deutschland hat schon öfters schwere Zeiten durchmachen müssen. Aber ich
glaube kaum, das damals die Kinder und Jugendlichen davon
"Gewaltbereiter" wurden. Ganz im Gegenteil. Früher hat man sich noch
gegenseitig geholfen. Ich bin fest der Meinung, das ein Mitgrund für die
Aggressivität bei den Kids die fehlende Beschäftigung ist. Oder um es
einfach zu sagen: Ihnen geht es immer noch zu gut.
Und wem langweilig ist, der lässt sich halt auch mal was dummes
einfallen.
Ich will jetzt aber nicht sagen, das die Kids nur noch den ganzen Tag
zuhause sitzen sollen, um in der Bibel zu lesen. Ganz sicher nicht. Sie
sollen ja auch ihren Spaß haben und ihr junges Leben genießen. Aber
alles eben in Grenzen.
Und Leute zu verprügeln nur aus Spaß an der Freude, mutwillig Eigentum
anderer zu zerstören, oder gar Menschen zu ermorden (Sorry, für mich war
die Tat kein Totschlag, sondern Mord) liegt weit weit außerhalb jeder
Grenzen.
Und zum Schluß habe ich noch einen guten Rat für die Kids :
Glaubt nicht alles was ihr im Fernsehen seht !!! Als kleines Beispiel
nenne ich mal die Musikvideos bei MTV oder VIVA. Glaubt ihr wirklich
daran, das es die supercoolen Gangster-Rapper gibt ? Meint ihr
vielleicht, das die "bösen Jungs" im realen leben auch so rumlaufen wie
in ihren Videos ? Ganz sicher nicht ! Oder meint ihr das SIDO den ganzen
Tag mit seiner Totenkopfmaske rumrennt ? Denkt mal nach. Euch wird da
was vorgespielt, nur damit sich die CD's besser verkaufen.
Das ist nicht die reale Welt ! Sondern ihr seid real. Und verbaut euch
nicht euer leben, in dem ihr solche Sch..... baut. Weil es das ganz
einfach nicht Wert ist.
Gruß an alle Frank
Eintrag im Gästebuch von www.neulussheim vom 18.10.2004
Gedenkstein zum Todestag von Johann Babies - Ort des Erinnerns
Neulußheim. Gleichmäßig wuchs mittlerweile das Gras an
der Stelle, wo einst die Waldhütte gestanden hatte. Nichts erinnerte bis
gestern daran, dass hier vor genau einem Jahr ein Mensch auf brutale
Weise zu Tode kam. Eine Tat von erschütternder Grausamkeit, angesichts
derer - und das nicht nur im ersten Moment des Erschreckens - man sich
am liebsten mit aller Macht distanziert hätte.
Doch Vergessen und Verdrängen bergen immer die Gefahr
einer Wiederholung, nur Auseinandersetzung und Diskussion hingegen die
Chance einer besseren Zukunft. Als Zeichen dafür, dass Neulußheim nicht
einfach unreflektiert Gras über die Geschehnisse vom 15. Oktober 2003
wachsen lässt, steht seit gestern der Gedenkstein des Neulußheimer
Steinbildhauers Matthias Schöner im Hubwald.
Als "mahnendes Zeichen und Stein des Anstoßes" will
Bürgermeister Gerhard Greiner das Denkmal verstanden wissen. Es solle
helfen, "nicht im Unfassbaren zu verharren, sondern voranzuschreiten,
Orientierung zu geben und alles menschenmögliche zu tun, dass
Menschenwürde nicht angetastet und schon gar nicht gebrochen" werde. Die
Erinnerung mache auch deutlich, so Greiner, dass wir Erwachsene unsere
Welt nicht mehr im Griff haben und dass wir den Jungen nicht mehr
glaubhaft sagen können, wo es langgeht. "Wir müssen unsererseits wieder
vorleben, was Toleranz, Mitmenschlichkeit, Zivilcourage, Achtung und
Respekt vor der Würde eines Menschen im Alltag bedeuten", mahnte
Greiner, der den Gedenkstein auch als "Brücke zwischen Vergangenheit und
Zukunft" bezeichnete.
Als Symbole für Vergangenheit und Zukunft, als Bruch
und den Wunsch auf eine hoffnungsvolle Verbindung lassen sich die drei
Granitquader durchaus begreifen. Auf der Rückseite des Denkmals, die an
die Vergangenheit erinnert, steht "Für Johann Babies", auf der
Vorderseite "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Dass diesem
ersten, in unserer Verfassung verankerten Grundrecht in Zukunft wieder,
auch und vor allem von Kindern und Jugendlichen, mehr Beachtung
geschenkt wird, dafür möchte Neulußheim alles tun. Der Gedenkstein ist
einer von vielen Schritten auf diesem Weg.
"Das Thema meiner Arbeit war schwer. Ich musste mich
sehr hineindenken, kam allein mit der Formensprache nicht aus und nahm
so auch die Inschrift hinzu", erklärte der Bildhauer. Schöner hat an der
Kunstakademie Karlsruhe Bildhauerei studiert und richtet sich nach
Aufenthalten in Ungarn und Japan jetzt ein Atelier und eine
Bildhauerwerkstätte in Neulußheim ein.
Die Bewohner der Schickardgemeinde, von denen doch
etliche, ob sie den Toten nun selbst kannten oder nicht, am gestern
Mittag den Weg in den Hubwald gefunden hatten, schätzten seine Arbeit
sehr, sind ihm sichtbar dankbar für das, was er geleistet hat.
Nach den Worten Greiners gedachten sie einen Moment in
aller Stille dem Toten, legten auf ein Denkmal Blumen nieder, das ihnen
bei der weiteren Auseinandersetzung und Verarbeitung helfen, aber auch
immer ein Ort der Stille, des stummen und fassungslosen Erinnerns
bleiben wird. sei
www.morgenweb.de
am 16.10.2004

Auch ein Jahr nach der Tat sind in Neulußheim die Wunden
nicht verheilt
Am 15. Oktober 2003 verprügelten mehrere Kinder und
Jugendliche einen Obdachlosen so stark, dass er starb
Melanie (Name von der Redaktion geändert) war eine der
ersten, die es erfahren hat. Damals, am Morgen des 16. Oktober 2003, als
Eltern, Lehrer, Bürgermeister und Straßenkehrer noch glaubten, dass dies
ein ganz normaler Tag in der beschaulichen 6300-Seelen-Gemeinde
Neulußheim werden würde. Da kursierte auf dem Schulhof der Realschule
Hockenheim bereits die Nachricht, die alles verändern sollte: Drei Jungs
aus Melanies Klasse und einige weitere Jungen und Mädchen hatten am
Vorabend den Obdachlosen Johann Babies im Neulußheimer Wald so brutal
verprügelt, dass er in der Nacht an seinen Verletzungen starb.
Neulußheim, ein verregneter Tag im Oktober 2004.
Melanie ist längst nicht mehr Schülerin in Hockenheim, trotzdem erinnert
sie sich genau an den kalten Herbstmorgen vor einem Jahr. "Ich hab' das
erst gar nicht geglaubt", erzählt die heute 14-Jährige. Schließlich
kennt sie die "Jungs", die den "Penner Paul" geschlagen haben, alle seit
Jahren. Fast täglich war sie früher mit ihnen zusammen. Drüben an der
Halfpipe haben sie zusammengehockt, geraucht, gequatscht. Alles "ganz
normale Jungs halt". Nur irgendwann seien "die immer dümmer geworden",
hätten dauernd erzählt, wen sie jetzt wieder "batschen" gehen.
Inzwischen hat Melanie kaum noch Kontakt zu ihren
früheren Freunden, die bei der Prügelei dabei waren. Obwohl fast alle
Jugendliche, die das Landgericht Mannheim im Juli verurteilt hat, noch
in Neulußheim wohnen. Gegen drei 15-Jährige verhängte die Große
Jugendkammer zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung, ein 14-Jähriger
bekam ein Jahr und drei Monate, ebenfalls auf Bewährung. Nur der Älteste
von ihnen, der 20-jährige Haupttäter, sitzt für fünf Jahre in
Jugendhaft.
Ein Vormittag an der Lußhardtschule. Von seinem
Fenster im ersten Stock hat Direktor Peter Scholl seine Schützlinge auf
dem Hof der Grund- und Hauptschule gut im Blick. Eigentlich. "Einige
erreicht man halt doch nicht", sagt er nachdenklich. Dabei war zum
Zeitpunkt der Tat nur eines der beteiligten Mädchen hier Schülerin. Noch
keine 14. Strafunmündig. Inzwischen ist noch einer der verurteilten
Jungen auf die Lußhardtschule gewechselt.
Am Anfang sei es schwer gewesen, den Jungen und das
Mädchen wieder in den Schulverband zu integrieren, die ersten großen
Pausen verbrachten die beiden nicht mit den Anderen auf dem Hof, sondern
in den geschützten Räumen der Direktion. "Denen sind sie hinterher
gerannt und haben 'Mörder' geschrien", erinnert sich Scholl.
Nicht nur für die Mitschüler und früheren Freunde,
auch für die Lehrer war der Umgang mit den tatbeteiligten Jungen und
Mädchen alles andere als einfach. "Ich konnte lange nicht normal mit der
Sache umgehen", sagt die Lehrerin einer Achtklässlerin, die an dem
verhängnisvollen Oktoberabend vor einem Jahr mit im Neulußheimer Wald
war. Nie hätte sie geglaubt, dass das Mädchen in so eine Tat verwickelt
sein könnte. Bis heute ist der Lehrerin unbegreiflich, wie geschehen
konnte, was geschehen ist. Trotzdem ist ein Jahr nach dem Tod von Johann
Babies wieder so etwas wie Alltag an der Lußhardtschule eingekehrt.
Vergessen ist etwas Wichtiges, das weiß Peter Scholl.
Vergessen, das ist ein Wort, das für Werner S. (Name
von der Redaktion geändert) nicht greifbar ist. Der nahe Verwandte eines
der Tatbeteiligten kann bis heute nicht nachvollziehen, was damals "in
den Jungen gefahren ist". Ein ruhiger Mensch sei der Jugendliche immer
gewesen, besonnen, freundlich. "Man kann das nicht begreifen", sagt
Werner S., er wiederholt es immer wieder. Völlig überrascht war er, als
vor einem Jahr eines Abends die Polizei vor der Haustür stand. "Der
Junge war zum Abendessen gekommen, war normal wie immer", erinnert sich
S. Nur ein wenig unruhig sei er gewesen. "Ich weiß noch, wie er da
stand, hinter dem Streifenwagen, bevor er verhört wurde."
Was genau an dem Abend im Neulußheimer Wald geschah,
an dem Johann Babies erst seine Würde und später sein Leben verlor,
erfährt die Familie erst viel später aus den Prozess-Akten. Seither ist
nichts mehr wie es war. Sicher, der Junge gehört immer noch zur Familie,
das lässt man ihn auch spüren. Aber über das, was passiert ist, spricht
man nicht.
Im Café im Ort kennt man die Jungen und Mädchen, die
den "Penner Paul" geschlagen haben, im Sommer holen sie hier ihr Eis,
seit eh und je. "Ganz nette, normale Kinder", beschreibt eine
Neulußheimerin die Halbwüchsigen, die Johann Babies von ganz anderer
Seite kennen lernen musste. Was in den "Kindern" vorgegangen sein muss,
als sie stundenlang auf den Mann einprügelten, kann sich die Frau bis
heute nicht vorstellen. "Ich habe selbst eine 13-jährige Enkelin", sagt
sie. Dass sie die tatbeteiligten Jugendlichen komisch anschaut, kommt
für sie nicht in Frage. "Was soll das bringen?", fragt sich die Frau.
Das scheinen nicht alle in Neulußheim so zu sehen.
"Vor allem Alteingesessene schneiden uns manchmal", schildert Werner S.
das Leben der Familie ein Jahr nach der Tat. "Die Leute gehen
unterschiedlich mit der Sache um", beobachtet auch Bürgermeister Gerhard
Greiner: "Einige wollen am liebsten Gras über die Sache wachsen lassen".
Nur darin, dass so etwas nie hätte passieren dürfen, sind sich alle
einig: "Die bereuen das bis auf den Tod", sagt Melanie über diejenigen
unter den Tätern, zu denen sie Kontakt hat. "Der eine fängt heute noch
jedes Mal an zu heulen, wenn man ihn drauf anspricht", schildert die
14-Jährige.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht auf dem
Gedenkstein, den Bürgermeister Greiner heute im Neulußheimer Wald
aufstellen wird. Zur Erinnerung an Johann Babies und daran, dass genau
diese Würde vor einem Jahr auf unvorstellbare Weise gebrochen wurde
Tatjana Schneider am 15.10.2004 in der Schwetzinger
Zeitung

Was ist Erziehung und Anstand?
Erziehung und Anstand kann nicht mit Taschengeld, modernstem Computer,
teuersten Bikes oder einem nagelneuen Motorroller ersetzt werden.
Erziehung und Anstand muss von den Eltern vorgelebt und gezeigt werden.
Man sollte sich als Eltern und Großeltern Zeit dafür nehmen, denn Kinder
reagieren und sagen das nach, was sie hören und sehen. Wenn sie Streit
erleben, wenn sie sehen, dass der Lautere und Stärkere gewinnt, werden
sie dieses umsetzen und genau so ausüben, da sie meinen, im Recht zu
sein. Sie leben nach dem Motto:“ Frechheit und Gewalt“ siegt, weil sie
es nicht anders kennen gelernt haben. Wenn Eltern ihren Kindern
einbläuen, du musst und du darfst dir nichts gefallen lassen, ist das
ein Erziehungsdefizit und sie machen es sich dadurch sehr leicht.
Wenn Jugendliche heute Stress mit Lehrer, Nachbar, Polizei oder älteren
Menschen haben verstecken sie sich plötzlich hinter dem
Jugendschutzgesetz und dem Rockzipfel der Mutti, denn sie wissen, dass
der Papa sie da wieder rausholt, wahrscheinlich mit den Worten: „es ist
doch noch ein Kind“.
Die Jugendlichen wollen in der Gemeinschaft als kleiner Erwachsener
anerkannt werden, doch wenn sie etwas angestellt haben, wenn es also zur
Sache oder den Richter geht, als Kind gesehen und als Kind bestraft.
Die Jugend will nicht wissen, dass man nicht nur Rechte sondern auch
Pflichten hat in dem Staat, in dem Land und in der Gemeinde ( kommt
übrigens von Gemeinschaft) in der man lebt und wohnt.
Wenn Verteidiger und Anwälte darauf plädieren, dass die Allgemeinheit
schuldig gesprochen wird dafür, dass sie nicht das Recht hat gegen
rücksichtslose Jugendliche zu opponieren und handeln, dann frag ich mich
und viele Mitmenschen auch, warum man das Wort „ Zivilcourage“ nicht aus
unserem Wortschatz streicht. Denn wer Courage zeigt, dem wird oder kann
noch „Selbstjustiz“ angehängt werden und so landet man schneller vor
einem Richter als derjenige, der etwas angestellt hat.
Wenn man heutzutage gegen Jugendliche agiert, versucht mit guten Worten
etwas zu erreichen, wird man beschimpft, bekommt einen Stinkefinger
gezeigt und wird von deren Eltern noch dumm angemacht und bedroht. Sind
das die heutigen Zeichen und Ergebnisse einer guten Erziehung ???
Auf jeder Baustelle hängt ein großes Schild auf dem steht:
„ELTERN HAFTEN FÜR IHRE KINDER“.
Doch wenn diese Kinder ein gewisses Alter von 1-...? Jahre noch nicht
überschritten haben, sind sie strafunmündig und das wissen leider viele.
Sie werden von unserem Gesetz geschützt oftmals mehr als ihr Opfer.
Kinder sollten lernen sich mit Probleme verbal auseinander zusetzen, zu
reden und nicht mit Gewalt und Rücksichtslosigkeiten den „Anderen“
gegenüber handeln. Denn Gewalt erzeugt Gegengewalt und es steigert sich
hoch bis hin zum Hass. Was dadurch alles geschehen kann, haben wir
unlängst und hautnah in unserer kleinen und verschlafenen Gemeinde
erlebt. Wir, die Ewachsenen waren alle sehr betroffen, schockiert und
entsetzt bei uns vor der Haustür im 21sten Jahrhundert, doch schalten
wir die Nachrichten ein, kommt es öfters zu solchen Taten, nicht nur
hier in Neulussheim oder Deutschland, nein weltweit gibt es diese
Angriffe von Jugendlichen. das soll und darf keine Entschuldigung, dass
es halt so ist. Es ist kein guter Weg den unsere Kinder, unsere
Jugendliche und später die Erwachsene da gehen. Extrem egoistisch
erzogen, mit den Ellbogen die Schwächeren wegschupsen, die
Karriere-Leiter hoch und über Leichen gehen mit nur einem Ziel
Hauptsache mir geht es gut, was der „Andere“ macht geht mir am A.....
vorbei.
Diese Erkenntnis, das verstehen was Recht und Unrecht, was Lüge und
Wahrheit, was Stärke und Schwäche, was Anerkennung und Respekt, was ein
Ehrenwort bedeutet und was Eigentum des Anderen ist, dies gilt zu
verstehen.
Wenn diese Zeilen von den Eltern und den Jugendlichen-Kindern gemeinsam
gelesen werden, man sich gemeinsam damit auseinander setzt, darüber
diskutiert und sich Gedanken macht, warum hat der Schreiber diese harte
Kritik an die, bzw. unsere Jugend geschrieben, wenn das geschieht hab
ich das erreicht, was ich eigentlich wollte das miteinander reden und
auch das zuhören. Wenn das geschieht, dass man den Computer , die
Play-Station und den Fernseher einmal ausschaltet und sich mit meinem
Text auseinandersetzt, dann hab ich diese Zeilen nicht umsonst in das
Gästebuch unserer Gemeinde gehämmert. Danke wenn Ihr es macht.
Ein Spruch noch:
„Es ist immer leichter die Schuld dem "Anderen" zu geben, als bei "sich
selbst" anfangen zu suchen.
Didier Hugeno geschrieben im Oktober 2004
Dieter Scheck am 4.10.2004 im Gästebuch
von www.neulussheim.de
Didier.Hugeno@gmx.de
Berliner
Obdachlosenzeitung berichtet
In der Ausgabe 14/2004 berichtet der "Straßenfeger",
eine Berliner Obdachlosenzeitung, über den Fall Johann Babies.
Straßenfeger - Berliner Obdachlosenzeitung
www.strassenfeger-berlin.de
redaktion@strassenfeger-berlin.de , c/o Thomas Lemmer
26.7.2004

Wir kannten
Hennes 10 Jahre!
Wir kennen Hennes seinen Mörder! Wir kennen die Eltern!
Wir kennen Neulussheim, denn wir haben dort 1o Jahre gewohnt. Wir waren
selbst obdachlos.
Durch Hilfe vom Ev. Pfarramt Hockenheim sowie Hilfe von Bürgermeister
Gerhard Greiner u. seinen grossartigen Mitarbeitern im Rathaus, haben
wir es nach einem langen schweren Weg wieder ins "Normale " Leben
geschafft.
Neulussheim hat eine Anzahl an Bewohner, die uns immer mit schrägen
Blicken oder spitzen Bemerkungen bedacht haben(z. B. Mitarbeiter im
Bauhof).
Nach unserer Wiedereingliederung haben wir uns immer noch mit unseren
obdachlosen Kumpels getroffen u. waren Freitags in der Wärmestube. Oft
sind wir zur Hütte raus zum Hennes gefahren. Ich habe Salat gemacht u.
wir haben dort gegrillt. Hennes war oft bei uns auf dem Häckselplatz.
Zur Karnevalszeit kam er zu uns den Karnelvalsumzug im Fernseh
anzusehen. Er wünschte sich dann Kohlrouladen, später rief er seine
Schwester von uns an. Jeweils am 19.05. trafen wir uns alle bei PLUS
seinen Geburtstag feiern - meistens habe ich dann dort seine Haare u.
seinen Bart geschnitten.
Ich habe Ihn oft gefragt, ob er keine Angst hat allein Platte zumachen.
Er verneinte. Ich hatte immer Angst u. habe gesagt, wenn mich einer
schlägt, dann richtig, so das ich nicht mehr aufwache.
Hennes bleibt uns in ewiger Erinnerung.
Einen traurigen Gruss an alle Mitarbeiter des Rathauses Neulussheim ganz
besonders an Herr Werner Kuppinger u. Herr Naber sowie an
Mobbel, Lissy, Bauer Hans, Fam. Lauer, Fam. Gottfried u. Helmut Grigst.
Gästebuch von www.neulussheim.de
vom 13.7.2004

Jugendliche
Täter - in 20 Jahren selbst Arbeitslose?
Hallo, dass, was Herrn Johann Babies angetan wurde,
hätte in jedem Ort zwischen Rügen und Garmisch passieren können. Dafür
einen ganzen Ort verantwortlich zu machen, ist absurd.
Viel wichtiger wäre es, die Ursachen für so viel menschliche Kälte zu
bekämpfen. Und das kann jede/r von uns. Beim nächsten Treffen eines
Obdachlosen nicht gleich die Strassenseite wechseln sondern vielleicht
mal das Gespräch suchen und vielleicht auch mal ein Essen spendieren.
Ich persönlich mache das seit Jahren so und habe, bis auf wenige
Ausnahmen, nur positive Erfahrungen gemacht.
Oft stecken schlimme Schicksale hinter der Obdachlosigkeit, teilweise
vollkommen unverschuldet. Und trotzdem wählen diese Menschen nicht den
Suizid, sondern wollen leben und versuchen das Beste daraus zu machen.
RESPEKT!.
Es gibt Organisationen wie z. B. "Die Tafel", die in vielen Städten
aktiv ist und Lücken abdeckt, die der Staat eben offen läßt. Auch dort
ist Hilfe oder Geld immer willkommen und hilft den Menschen, die
ansonsten keiner sehen mag.
Was die jugendlichen Täter betrifft bin ich froh, kein Richter zu sein.
Ich denke, vieles bestraft das Leben früher oder später von ganz
alleine...
Und die Möglichkeit, dass auch unter den heute jugendlichen Tätern in 20
oder 30 Jahren selbst Obdachlose sind, ist in der heutigen Zeit nichtmal
so abwegig...
Ein trauriger Gruß, Andreas Klein,
sableler@web.de , 12.7.2004
aus dem Gästebuch von
www.neulussheim.de

die story: War doch nur ein
Obdachloser -
Wenn Kinder töten

Am 16. Oktober letzten Jahres stirbt der 54-jährige
Johann Babies einen grausamen Tod. Der Obdachlose wird von Kindern und
Jugendlichen zusammengetreten, gequält, gedemütigt, bis er nach zwei
Tagen und Nächten in einem Waldstück wie ein Tier verendet. Die acht Täter der 6.000-Seelen-Gemeinde Neulussheim
gehen währenddessen weiter in die Schule und prahlen dort sogar damit,
dass sie den Obdachlosen erschlagen haben. Zwei Tage nach der Tat
verabreden sie sich am Tatort, "um den Penner zu töten, falls er noch
leben sollte". Aber Johann Babies ist tot. Gestorben an den Schlägen und
Tritten junger Menschen aus gut-bürgerlichen Elternhäusern.
Das Dorf ist zerrissen wegen der Ereignisse im letzten
Oktober. Die einen fordern eine harte Bestrafung, die anderen sagen, man
könne die Kinder doch nicht für alle Zeit brandmarken. Ratlosigkeit
herrscht: Was bringt Kinder dazu, eine solche monströse Tat zu begehen?
Gibt es eine Strafe für sie und wie kann diese aussehen? Darüber wird
das Gericht nun entscheiden. Was wiegt schwerer, der Tod eines Menschen
oder die Zukunft von zwölf - bis neunzehnjährigen Jugendlichen?
Sendetermine in der
ARD:
Freitag, 30.07.04, 20:15 Uhr
Samstag, 31.07.2004, 7:05 Uhr
Samstag, 31.07.2004, 14:05 Uhr
www.ard-digital.de
vom 8.7.2004

Sie haben einen sozial randständigen Menschen
stundenlang gequält und damit seinen Tod herbeigeführt. Über die
jugendlichen Täter von Neulußheim, die mit ihrer herzlosen Tat auch das
schlechte Gewissen der Erwachsenenwelt getroffen haben, ist Recht
gesprochen worden. Dass dies nicht gleichbedeutend ist mit
Gerechtigkeit, deutet schon das Strafmaß an. Und auch die Tatsache, dass
das Gericht trotz der sadistischen Umstände der Tatausführung auf
Körperverletzung mit Todesfolge erkannte. Zusammen mit dem
Jugendstrafrecht erlaubt das - bis auf den Hauptbelasteten, der im
doppelten Sinne als der "Dumme" hingestellt wurde - für die Schüler ein
Strafmaß der "zweiten Chance". Man wollte an einem strafrechtlichen
Exempel vorbeikommen.
Das ist, nicht zuletzt durch ein offenbar abgestimmtes
Aussage-Verhalten, gelungen. Die Kinder "aus unserer Mitte", wie ein um
Schadens- und Schandebegrenzung bemühter Bürgermeister zu betonen nicht
müde wird, haben allerdings zur Aufarbeitung des Verbrechens bisher kaum
beigetragen, wie sogar der Seelsorger am Ort einräumen muss. Vielleicht
doch, weil Johann Babies "nur" ein "Penner" war? Geht es in Neulußheim
ums Verzeihen oder ums Vergessen? Die meisten Fragen bleiben leider
offen - solche zur Tat und viele, die sich an die Erwachsenen richten.
Sicher ist aber: für die jungen Täter wie auch ihre Eltern endet die
Strafsache Babies nicht mit diesem eleganten Urteil.
Manfred Fritz auf
www.rnz.de vom 6.7.2004

Prozess um gewaltsamen Tod eines Obdachlosen: Die Motive der jungen
Täter bleiben weiter im Dunkeln
Mannheim. Im Prozess um den gewaltsamen Tod eines
Wohnsitzlosen hat das Mannheimer Landgericht am Montag die Urteile
verkündet. Der 20-jährige Haupttäter muss eine Jugendstrafe von fünf
Jahren verbüßen. Drei 15-jährige wurden zu Bewährungsstrafen von zwei
Jahren verurteilt und müssen an einem sozialen Training teilnehmen. Das
Landgericht befand die vier der Körperverletzung mit Todesfolge für
schuldig. Ein 14-jähriger Mitangeklagter erhielt eine Bewährungsstrafe
von 15 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung.
"Gott, verzeih Euch." Das waren die letzten Worte des
Opfers Johann Babies zu den Tätern. Die fünf Jungen hatten den
54-Jährigen im Oktober 2003 vor seiner Waldhütte in Neulußheim schwer
misshandelt. Über Stunden hinweg traktierten sie ihn mit Fußtritten und
schlugen mit Knüppeln auf den schreienden und sich erbrechenden Mann
ein. Ein Holzpfahl brach durch die Wucht entzwei. "Das Opfer war kein
Mensch mehr, sondern eine Sache, auf die man eintreten kann", zeigte
sich Verteidiger Manfred Zipper entsetzt. Sein heute 20-Jähriger Mandant
tat sich offenbar besonders grausam hervor. So hatte sich der
Zweimeter-Mann mit seinem vollen Gewicht von mehr als 130 Kilogramm
Das Opfer "aus Langeweile verkloppt"
auf den Brustkorb des "Waldmenschen" gestellt.
Das Opfer erlitt mehrere Knochen- und Rippenbrüche sowie Einblutungen am
ganzen Körper. Ein Gutachter verglich die Verletzungen mit denen eines
Verkehrsunfalls. Die Angeklagten hätten voraussehen können, dass der
Mann an den Folgen der Verletzungen versterben werde, so die
Jugendkammer. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", mahnte der
Vorsitzende Richter Mattias Schwab.
Auch in dem elftägigen Prozess konnte letztlich nicht geklärt werden,
warum die Täter Johann Babies quälten und dann seinem Schicksal
überließen. Die Jungen hätten den Mann "aus Langeweile verkloppt",
vermutet Verteidiger Manfred Zipper. "Wir wollten die Zeit totschlagen",
soll einer von ihnen bei Vernehmungen gesagt haben.
Ein Motiv hatte allenfalls der Älteste. Im Sommer 2003
wurde er von dem Obdachlosen mit einer Schaufel geschlagen, der sich
wohl durch provozierende Jugendliche gestört fühlte. Aber erst einige
Wochen später rückte der junge Mann mit seinen Kumpels an, um "Penner-Paul",
wie sie ihn nannten, zu bestrafen. Zu mehreren schlugen sie auf den
54-Jährigen ein. Das Opfer machte ein Friedensangebot, entschuldigte
sich und gab ein Bier aus. Zwei Tage später verlangte der damals
19-Jährige von dem Wohnsitzlosen eine vorformulierte Entschuldigung
nachzusprechen. Als dieser sich weigerte, fielen die fünf Jungen brutal
über ihn her. Zwischendurch legten sie eine Zigarettenpause ein und
unterhielten sich mit dem Opfer.
Doch warum hat sich keiner von ihnen dem Gewaltexzess
entzogen oder Hilfe geholt? Auch mehrere strafunmündige Kinder sahen zu
und unternahmen nichts. Anwälte sprachen von "gruppendynamischen
Prozessen." Die Angeklagten seien in eine Art "Blutrausch" geraten,
glaubt Verteidiger Zipper. Eines scheint klar: "Alleine hätte es niemand
gemacht", ist sich Anwalt Maximilian Endler mit seinen Kollegen einig.
Und: "Sie haben geprügelt, weil sie nicht außerhalb der Gruppe stehen
wollten", glaubt Endler. Einen Tag später schauten einige der Täter nach
Johann Babies, doch da war er bereits tot.
Die Anwälte der vier Jugendlichen zeigten sich
zufrieden mit den Urteilen. Nicht jedoch Verteidiger Zipper, dessen
Mandant als einziger eine Haftstrafe verbüßen muss. "Er fühlt sich
ungerecht behandelt und glaubt, die anderen hätten die gleiche Strafe
verdient", berichtete Zipper, der seinen Mandanten als "Riesenbaby"
bezeichnete. Er erwägt nun, das Urteil anzufechten. Die
Staatsanwaltschaft habe "schlecht ermittelt", die vier Mitangeklagten
hätten sich vor ihrer Aussage miteinander "abgesprochen", kritisierte
der Verteidiger. So hätten die Jugendlichen vor Gericht gleichförmige
Aussagen und identische Formulierungen verwendet. Staatsanwalt Lars
Oltrogge hatte sechseinhalb Jahre für den Ältesten gefordert - wegen
Totschlags. Ein Tötungsvorsatz konnte dem Heranwachsenden jedoch nicht
nachgewiesen werden. Gutachter attestierten allen Angeklagten eine volle
Schuldfähigkeit. Der
"Es sind Kinder aus unserer Mitte"
heute 20-Jährige sei jedoch in seiner
Entwicklung zurückgeblieben und somit strafrechtlich einem Jugendlichen
gleichzustellen. Dem hat sich das Gericht angeschlossen. Auch am letzten
Tag blieb die Öffentlichkeit wegen des Alters der Beschuldigten von dem
Prozess ausgeschlossen.
Neulußheims Bürgermeister Gerhard Greiner will die
Täter "nicht ausgrenzen, sondern aushalten". Und: Man müsse ihnen
verzeihen und eine zweite Chance geben. "Es sind Kinder aus unserer
Mitte", gibt er zu bedenken. Sie hätten "nur das vollzogen, was jeden
Abend an den Stammtischen geredet wird." Ein Runder Tisch wurde ins
Leben gerufen, an dem sich Erzieher, Schulleiter und Sozialarbeiter
sowie die Polizei und die Kirche beteiligten. Die Bilanz fast neun
Monate nach dem Tod des Wohnsitzlosen ist ernüchternd: "Wir haben noch
keine konkreten Erfolge", sagt der evangelische Pfarrer Uwe Sulger, der
die drei 15-jährigen Schläger aus dem Konfirmandenunterricht kennt. Dass
der gewaltsame Tod des 54 Jahre alten Mannes mit seiner Obdachlosigkeit
zu tun hat, dessen ist er sich sicher. Der Heidelberger Kriminologe
Dieter Dölling hat bei der Suche nach Antworten auf das brutale
Verhalten der Kinder und Jugendlichen zwei Erklärungsansätze. "Der
Einfluss der Jugendlichen aufeinander ist sehr stark - stärker als der
der Eltern", erklärt der Direktor des Instituts für Kriminologie an der
Universität Heidelberg.
Die Cliquen bildeten Führungspersönlichkeiten heraus,
denen wegen des Gruppenzugehörigkeitsgefühls nachgeahmt werde. Da der 20
Jahre alte Haupttäter den anderen intellektuell unterlegen war, habe er
sich durch sein gewalttätiges Handeln offenbar produzieren wollen,
analysiert Dölling. Diese verhängnisvolle Wechselseitigkeit könne die
Tat ausgelöst haben.
Die verwahrloste Hütte, in der Johann Babies hauste, wurde inzwischen
abgerissen. An deren Stelle soll ein Gedenkstein an den "Waldmenschen"
erinnern, der in seiner Heimatstadt Siegburg beigesetzt wurde
Ulrich Willenberg in der Rhein-Neckar-Zeitung am
6.7.2004

Urteilsverkündung 263 Tage nach der Tat unter Ausschluß der
Öffentlichkeit
"Würde des Menschen ist unantastbar"
deutlich betont
Eindringliche Mahnungen des Richters bei der gestrigen
Urteilsverkündigung der Jugendkammer des Mannheimer Landgerichts
Mannheim/Neulußheim. Genau 263 Tage
nach der Tat im Wald bei Neulußheim, als der obdachlose Johann Babies
erschlagen wurde, sprach jetzt am gestrigen Montag das Gericht sein
Urteil. Auch die Urteilsverkündung fand, wie die gesamte Verhandlung,
unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Wer die Plädoyers der
Staatsanwaltschaft und die Plädoyers die Verteidiger, soweit sie an die
Öffentlichkeit kamen, verfolgt hatte, konnte kaum von dem gestrigen
Urteil und dem Strafmaß überrascht sein.
Für drei Jugendliche im Alter von jetzt
15 Jahren hatte sowohl der Staatsanwalt als auch die Verteidiger jeweils
zwei jahre mit Bewährung gefordert. Das Gericht folgte diesen Anträgen.
Ein weiterer Jugendlicher wurde zu 15 Monaten auf Bewährung verurteilt.
Er hatte den Tatort wesentlich früher als die vier anderen verlassen.
Für den 20-jährigen Heranwachsenden
hatte der Staatsanwalt eine Strafe von sechs Jahren und sechs Monaten
gefordert, der Verteidiger hatte auf "unter fünf Jahre" plädiert. Das
Gericht entschied gestern auf fünf Jahre Jugendstrafe.
Alle fünf Täter wurden nicht wegen
Totschlags, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.
Die vier Jugendlichen, die Bewährungsstrafen erhielten, bekamen auch die
Weisung, bereits begonnene Therapien fortzusetzen. Sie müssen sich einem
sozialen Trainingskurs unterziehen und sich der Aufsicht und der Leitung
eines Bewährungshelfers unterstellen. Außerdem müssen die vier
Jugendlichen gemeinnützige Arbeit ableisten, diese dürften bei 200 bis
300 Stunden je Jugendlichem liegen.
Rechnet man davon einmal einen
Mittelwert von 250 Stunden und legt zum Vergleich einen achtstündigen
Arbeitstag zugrunde, so ergibt dies genau 31 Arbeitstage. Die
Bewährungsstrafe für die vier Jugendlichen bedeutet, dass sie weiterhin
die Schule besuchen können.
Der 20-Jährige wurde zu einer
Haftstrafe von 60 Monaten verurteilt. Bei dieser Verurteilung nach dem
Jugendstrafrecht kann eine Freilassung bereits nach der Verbüßung von
einem Drittel der Strafe möglich sein. Dies wäre also nach einer
Haftzeit von 20 Monaten. Angerechnet werden dabei die zehn Monate der
Untersuchungshaft. Wie sein Anwalt mitteilte, will der Heranwachsende im
Jugendgefängnis eine Ausbildung und auch den Führerschein machen.
Noch nicht entschieden sei, so der eher
medienoffene Verteidiger des 20-Jährigen, ob gegebenenfalls Berufung
eingelegt werde. Der Anwalt des 20-Jährigen hatte bereits im Verlaufe
des Prozesses mehrfach darauf hingewiesen, dass die Schuldverteilung
immer mehr zu Lasten seines Mandanten gehe, der in die Rolle des
"Rädelsführers" gedrängt werde.
Bestimmend war ohne Zweifel in dem
Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit, dass die Verteidiger der
einzelnen Jugendlichen konsequent die Schuld immer in größerem Maße bei
den anderen Tatbeteiligten und in erster Linie dann bei dem
Heranwachsenden sahen.
Dies brachte auch die Konsequenz, dass
die Gruppendynamik verstärkt in den Mittelpunkt gestellt wurde, der sich
die die Jugendlichen laut Angaben ihrer Anwälte, nicht hätten entziehen
können.
Die 7. Große Strafkammer, die
Jugendkammer des Landgerichts Mannheim, ist nach dem Ergebnis der
Hauptverhandlung jedenfalls überzeugt, dass die Angeklagten den in einer
alten steinernen Waldhütte lebenden Johann Babies so schwer misshandelt
hatten, dass sie voraussehen konnten, dass er an den Folgen der
Verletzungen sterben würde.
Der Vorsitzende Richter hatte, wie
bekannt wurde, bei seiner Urteilsverkündung auch Artikel 1 des
Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar" in den
Mittelpunkt gestellt. Dies solle den Verurteilten immer im Gedächtnis
sein und bleiben. Auch sei die Erinnerung an die Tat und das Bewusstsein
der Schuld, die die Jugendlichen und der Heranwachsende auf sich geladen
hätten, ein unauslöschlicher Teil ihrer Strafe. ba
Schwetzinger Zeitung
vom 06.07.2004, www.morgenweb.de

Obdachlosen-Prozess: Offene fragen nach Gerichtsurteil
Auch nach dem Urteil der Jugendkammer liegt das Motiv für den
Mord an einem Obdachlosen weiterhin im
Dunkeln. Eine Gruppe Jugendlicher hatte den Mann auf grausamste Weise
getötet.
Achteinhalb Monate nach dem grausigen Tod eines Obdachlosen im
baden-württembergischen Neulußheim sind die Täter am Montag bestraft
worden. Nach dem Urteil der Jugendkammer des Mannheimer Landgerichts
gegen fünf 14- bis 20-Jährige wird jedoch weiter über die Motive für
ihr brutales Vorgehen gerätselt. Für fünf Jahre muss der 20 Jahre alte
Haupttäter wegen Körperverletzung mit Todesfolge ins Gefängnis. Der
Rest der minderjährigen Gruppe erhielt Bewährungsstrafen zwischen 15
Monaten und zwei Jahren.
Die Unbarmherzigkeit und Gewaltbereitschaft gegen einen am Rande der
Gesellschaft stehenden Menschen, vor allem aber das Alter der Täter
hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Die Angaben über die
Cliquengröße bei der Bluttat in dem Waldgebiet in der Nähe der kleinen
Gemeinde Neulußheim im Rhein-Neckar-Kreis schwanken zwischen acht und
elf. Als sicher gilt jedoch, dass auch zwei zwölfjährige Mädchen an
der über zwei Stunden dauernden Prügel- und Tretattacke nach dem
Streit um eine Waldhütte dabei waren.
Mit ungläubigem Entsetzen hatten die 6300 Einwohner zählende Ortschaft
die Tat der Jugendlichen im Herbst vergangenen Jahres registriert und
versucht, zu reagieren. Bürgermeister Gerhard Greiner (SPD) rief dazu
auf, die Gruppe - bis auf den 20-Jährigen Realschüler und Gymnasiasten
- nicht zu verstoßen und die Familien nicht gesellschaftlich zu
ächten. Ein Runder Tisch wurde ins Leben gerufen, an dem sich
Erzieher, Schulleiter und Sozialarbeiter sowie die Polizei und die
Kirche beteiligten. Die Bilanz fast neun Monate nach dem Tod des
Wohnsitzlosen ist ernüchternd: "Wir haben noch keine konkreten
Erfolge", sagt der evangelische Pfarrer Uwe Sulger, der die drei
15-jährigen Schläger aus dem Konfirmandenunterricht kennt. "Keine
Monster" seien die Jungen, berichtet der Theologe. Dass der gewaltsame
Tod des 54 Jahre alten Mannes mit seiner Obdachlosigkeit zu tun hat,
dessen ist er sich jedoch auch sicher.
Der Heidelberger Kriminologe Dieter Dölling hat bei der Suche nach
Antworten auf das brutale Verhalten der Kinder und Jugendlichen zwei
Erklärungsansätze. "Der Einfluss der Jugendlichen aufeinander ist sehr
stark - stärker als der der Eltern", erklärt der Direktor des
Instituts für Kriminologie an der Universität Heidelberg. Die Cliquen
bildeten Führungspersönlichkeiten heraus, denen wegen des
Gruppenzugehörigkeitsgefühls nachgeahmt werde. Da der 20 Jahre alte
Haupttäter den anderen intellektuell unterlegen war, habe er sich
durch sein gewalttätiges Handeln offenbar produzieren wollen,
analysiert Dölling. Diese verhängnisvolle Wechselseitigkeit könne die
Tat ausgelöst haben. ....
Alles von Bernd Glebe am 5.7.2004 auf
www.stern.de

Am
9.6.2004 Prozessauftakt im Reilinger Obdachlosen-Mord
Am
9.6.2004 Prozessauftakt gegen fünf Kinder und Jugendliche wegen Mord an
Obdachlosen - Eine Gemeinde versucht das schreckliche Verbrechen
aufzuarbeiten
Neulußheim/Mannheim. (rnz) Der brutale Tod des
Obdachlosen Johann B. in der Nähe der kleinen Ortschaft Neulußheim
schockte im vergangenen Herbst die Region. Jugendliche im Alter zwischen
zwölf und 14 Jahren sowie ein 19-Jähriger haben im Oktober mehrere
Stunden lang mit Holzprügeln auf den Obdachlosen eingeschlagen. Der Mann
starb an der Vielzahl der Verletzungen.
Ab dem morgigen Mittwoch müssen sich der jetzt
20-jährige mutmaßliche Haupttäter und drei inzwischen 15 Jahre alte
Jungen wegen gemeinschaftlichen Totschlags vor dem Mannheimer
Landgericht verantworten. Ein 14-Jähriger ist wegen Körperverletzung mit
Todesfolge angeklagt.
 |
Wir sprachen vor Prozessbeginn mit
Neulußheims Bürgermeister Gerhard Greiner (Foto: Lenhardt), der nach
der schrecklichen Tat einen "Runden Tisch" mit Verantwortlichen aus
vielen gesellschaftlichen Bereichen ins Leben gerufen hat, um zu
diskutieren, wie auf jugendliche Gewalt reagiert werden kann und wie
eine solche Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen eingedämmt werden
kann |
Herr Greiner, am 15.
Oktober vergangenen Jahres haben Kinder und Jugendliche in Neulußheim
einen Obdachlosen totgeschlagen. Sie haben als Bürgermeister eine
Initiative gegen Jugendgewalt ins Leben gerufen, die anfänglich große
Beachtung gefunden hat. Jetzt war längere Zeit nichts mehr zu hören. Wie
ist der Stand der Dinge?
Wir haben in einer - übrigens sehr kompetent besetzten
Lenkungsgruppe - zunächst genau hingeschaut und das Tatgeschehen, die
näheren Umstände, Wurzeln und Strukturen auch im gesellschaftlichen
Umfeld analysiert. Gerade weil wir so genau hingeschaut haben, hat es
auch etwas länger gedauert als ursprünglich gedacht. Wir haben jetzt in
diesen Tagen "Arbeitsaufträge" für drei Arbeitskreise (Kindergärten,
Schule und offene Jugendarbeit) formuliert. So haben wir jetzt erste
Ansätze für unsere Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in
Kindertagesstätten, Schule, Vereinen und offener Jugendarbeit, für die
Arbeit mit Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen, Lehrern und Eltern
ausgearbeitet, die wir immer weiter entwickeln werden.
Welche Ziele hat die
Initiative?
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Wurzeln und Strukturen aufzudecken, die
ein derart nenschenverachtendes Handeln ermöglichten oder begünstigten.
Wir wollen auch Maßnahmen finden, die geeignet sind, solch einer
Brutalität wirksam entgegenzutreten. Wir wollen eine nachhaltige
Prävention initiieren und im Bewusstsein der Leute verankern, dass dies
eine Aufgabe aller ist. Und wir wollen einen sorgsamen, weitestgehend
gewaltfreien und auch verantwortlichen Umgang unter Kindern und
Jugendlichen fördern. Wir wissen und wollen bewusst darauf hinweisen,
dass wir dem Opfer, den Tatbeteiligten und ihren Familien nicht gerecht
werden, wenn wir die Tat unter den Teppich kehren.
Wie wollen sie diese
Ziele erreichen?
Wir werden Aktionen mit Kindern und Jugendlichen starten, in denen wir
deren soziale und personale Kompetenz durch Vermittlung von Werten und
Normen, vereinbarte (Spiel)Regeln und gesetzte Grenzen entwickeln und
fördern helfen. Wir werden Kooperationen und Erziehungspartnerschaften
von Eltern und Erziehern fördern und wir werden Kindern und Jugendlichen
adäquate Verantwortung anbieten und übertragen. Wir arbeiten dabei mit
verbindlichen Leitlinien in der Arbeit einzelner Einrichtungen,
entwickeln (mit externer Unterstützung) gezielt Projekte und
Veranstaltungen und bieten, für Eltern und Erzieher/innen, Kurse und
Seminare an.
Wie ist die Resonanz
in Neulußheim, finden sich genug Mitstreiter?
Die Resonanz unter verantwortlich Handelnden ist sehr groß. Wie sich das
mit den jetzt angestoßenen Projekten entwickelt, bleibt abzuwarten. Wir
sind aber sehr sicher, dass Eltern die Hilfen annehmen und wir uns mit
der Initiative auch bei Kindern und Jugendlichen durchsetzen werden. Das
wird sicher seine Zeit brauchen, dann aber umso deutlicher erkennbar
werden.
Gelegentlich ist die
Kritik zu hören, dass Sie sich zu sehr auf die Hilfe und Unterstützung
der Tatverdächtigen konzentrieren und dabei aus den Augen verlieren,
dass die brutale Tat Konsequenzen nach sich ziehen muss. Was antworten
Sie diesen Kritikern?
Über schuldig Gewordene zu richten und ihr Handeln angemessen zu
bestrafen ist Aufgabe und Sache der Rechtsprechung. Das Landgericht
Mannheim wird dies ab Mittwoch sehr gründlich tun, da bin ich mir
absolut sicher. Wir von der Neulußheimer Initiative sehen unsere Aufgabe
woanders, wir wollen uns dem gesellschaftlichen Aspekt der Tat widmen.
Wir wollen Konsequenzen ziehen, indem wir uns dem schrecklichen
Geschehen stellen und es für alle Bereiche unserer Ortsgemeinschaft,
aufarbeiten. Eine Pseudo-Problemlösung - durch Ausgrenzung der Täter
oder nur oberflächliche Reflexion des Geschehens - lassen wir nicht zu.
Wir wollen es mit den in unserer Mitte schuldig Gewordenen aushalten und
für uns (und vielleicht auch beispielhaft für andere) zu echten
Veränderungen und damit neuen Orientierungen kommen.
RNZ vom 8.6.2004

Kinder aus
unserer Mitte
Neulußheim/Leimen. Er will nichts schönreden, nichts
entschuldigen und schon gar nichts bagatellisieren. Wenn der
Bürgermeister von Neulußheim, Gerhard Greiner (Foto) gestern bei der
Mitgliederversammlung Kriminalprävention Rhein-Neckar an den
schrecklichen Obdachlosenmord vom 15. Oktober 2003 erinnert, an dem
Kinder und Jugendliche aus Neulußheim maßgeblich beteiligt waren, so
schildert er detailliert, in welch brutaler Art und Weise die
Jugendlichen ihr Opfer traktiert hatten. Nichtsdestoweniger gibt es für
ihn und seine Gemeinde nur einen Weg, die schreckliche Tat von damals zu
verarbeiten: nämlich gemeinsam ein Miteinander zu finden, die Täter zu
ertragen, ihnen zu vergeben, zu
verzeihen, ja, eine zweite Chance zu geben.
Greiner selbst sah und sieht sich hier in der Pflicht gemeinsam mit
Lehrern; Pfarrern, Pädagogen und Psychologen sowie der Polizei der
Bevölkerung Orientierung zu geben. Denn "Strafe muss zwar sein", aber
Hilfe sei wichtiger als Ausgrenzung. Die Täter "gehören zu uns, sind aus
uns hervorgegangen." Und alles Unheil auf die Gesellschaft zu schieben,
sei zu einfach. Die Gesellschaft sei nicht anonym, sie habe Gesichter
und Namen.
Als falsch habe sich in seinen Augen der Versuch erwiesen, die Kinder;
bzw. Jugendlichen auf andere Schulen abzuschieben, so wie es das
Schulamt Heidelberg mit Einvernehmen der Eltern angeordnet habe. Die
alten Mitschüler und Lehrer nämlich kannten auch die positiven Seiten
der Täter, an den neuen Schulen aber waren sie "die Mörder von
Neulußheim."
Die Ortsgemeinschaft aber sei nur dann tragfähig, wenn sie in der Lage
sei, Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, aufzufangen. Keine
Frage, dass hier in der Bevölkerung viel Überzeugungsarbeit notwendig
sei. Immer wieder erhalte Greiner anonyme Briefe, in denen gefordert
werde, man müsse die Täter "wegsperren". Solche Ratschläge seien
Schläge, klagt er. Unverständnis zeigt er auch für die Meinung eines
Vaters: "Das wäre meinem Kind nie passiert, und wenn, dann hätte ich es
totgeschlagen." Für die Zukunft aber heiße es, verstärkt
Prävention zu betreiben, und zwar dann, wenn sich die kognitiven
Fähigkeiten ausbilden, sprich bereits im Kindergartenalter.
Er bedauert, dass viele Bürger die schreckliche Tat von damals "abhaken"
wollen getreu dem Motto "Deckel drauf und fertig". Jetzt gelte es
vielmehr, sich intensiv damit zu beschäftigen, damit sich das
schreckliche Ereignis vom 15. Oktober nie mehr wiederhole.
Und noch einmal gibt er zu bedenken, dass es sich bei den Tätern von
Neulußheim nicht um gesellschaftliche Randgruppen handle, sondern um
"Kinder aus unserer Mitte". Von
daher könne man hier keine Schuld abwälzen, sondern wir alle stünden in
unserer Verantwortung. Denn was sich damals ereignete, sei nicht ein
Neulußheim-spezifisches Phänomen, das könne überall passieren, an jedem
Ort.
(ik), www.rnz.de vom
12.3.2004

Bischof Dr. Ulrich Fischer zur Jugendkriminalität in Neulußheim
Bischof Dr. Ulrich Fischer von der
evangelisch-badischen Landeskirche wohnt jetzt mit seiner Familie in
Neulußheim
"Hier werden wir uns ganz bestimmt wohlfühlen können"
Neulußheim. Einen prominenten Mitbürger
hat die Gemeinde Neulußheim seit diesen Tagen in ihren Mauern: den
Landesbischof der badischen evangelischen Landeskirche, Dr. Ulrich
Fischer (55). Zusammen mit seiner Frau Brigitte, die Sonderschullehrerin
und Leiterin der Beratungsstelle für sprachbehinderte Kinder an der
Kurt-Waibel-Schule in Schwetzingen ist, und seiner ältesten Tochter
Susanne mit ihrer Familie, hat er sich Neulußheim als gemeinsamen
Wohnort ausgesucht.
"Draußen im Neulußheimer Süden", im Gewerbegebiet, inmitten freier
Natur, bewohnen sie ein neu erbautes, helles und freundliches Haus, in
dem sich außer dem vierjährigen Enkel Florian auch zwei Schildkröten und
zwei Hunde wohlfühlen. Außer Tochter Susanne hat das Ehepaar Fischer
noch zwei Töchter, die in Köln und Frankfurt/Main leben.
Für Dr. Fischer ist es erfreulich, dass sein neuer Heimatort über einen
Bahnanschluss verfügt. So kann er während seiner vielen Reisen im Zug
einiges aufarbeiten. Außerdem bekennt er, dass er "gerne nah' den
Menschen" ist. In einer verhältnismäßig kleinen Wohngemeinde ist dies
möglich - und "hier werden wir uns wohlfühlen können". Bereitwillig
stand er unserer Zeitung Rede und Antwort.
.....
SZ: Seit einigen Monaten hat Neulußheim ein spezielles Problem mit
der Jugendkriminalität. Wie denken Sie über die Möglichkeiten, als
Kirche zu helfen?
FISCHER: Als ehemaliger
Landesjugendpfarrer sehe ich die Problematik ganz gezielt. Es ist doch
so, dass unsere jungen Leute viel zu wenig Möglichkeiten haben, ihren
Bewegungsdrang auszutoben. Hier sind der Freizeitsport und die Vereine
gefragt, deren Engagement einen unschätzbaren Wert haben. Unsere
Jugendlichen sitzen zu viel vor dem Computer und der Mediengebrauch ist
zu hoch. Manches Mal wird in die Wirklichkeit umgesetzt, was ein vorher
gesehener Film gezeigt hat. Deshalb ist es wichtig, Fernseh- und auch
sonstige Regeln in den Familien festzulegen. Kinder und Halbwüchsige
wollen Grenzen aufgezeigt bekommen. Aber man muss auch eingestehen, dass
es die Jugendlichen heute nicht leicht haben. Die Unübersichtlichkeit
nicht nur bezüglich der Ausbildungsmöglichkeiten zum Beispiel ist zu
groß, die Lebensbedingungen sind schlechter geworden und damit sind die
Heranwachsenden entscheidungsfähiger geworden. Und: Familienleben ist
ganz wichtig für junge Menschen - wie gesagt, gewisse Regelmäßigkeiten
auch. Da hat auch die Kirche eine wichtige Position, indem sie die Kids
in die Pflicht nimmt und gewisse Regeln ins Spiel bringt.
....
Kompletten Text von Gisela Jahn bitte auf
www.morgenweb.de lesen (sofern
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Zwei
spektakuläre Kapital-Verbrechen im Jahr 2003
Polizeidirektor Bernd Fuchs zum Jahreswechsel: Sicherheit kann
gewährleistet werden, aber die "Zitrone Polizei" ist nicht ewig
ausquetschbar
Die Heidelberger Polizei blickt auf ein ausgesprochen
arbeitsreiches, jedoch auch erfolgreiches Jahr 2003 zurück. "Wir haben
im vergangenen Jahr versucht, auf allen unseren Arbeitsfeldern Standards
zu setzen und zu halten", sagt der Leiter der Polizeidirektion,
Kriminaldirektor Bernd Fuchs im Gespräch mit der RNZ, "und wir können
derzeit guten Gewissens sagen, dass wir die Sicherheit unserer
Bevölkerung auch weiterhin gewährleisten können".
Zwei spektakuläre Kapital-Verbrechen, die damit
verbundenen Ermittlungen und die Aufklärung prägten im zurückliegenden
Jahr die Arbeit der Heidelberger Polizei sehr stark: Der Dreifachmord
von Ziegelhausen, der im Januar nach 39 Tagen Ermittlungsarbeit geklärt
werden konnte, und das Tötungsdelikt von Neulußheim, bei dem eine Gruppe
von Jugendlichen einen Obdachlosen zu Tode prügelte.
"Für uns war es ebenso entsetzlich wie für die gesamte Bevölkerung, als
wir feststellen mussten, dass die Morde von Ziegelhausen tatsächlich vom
Motiv her so schrecklich einfach waren, dass ein Mensch wegen ein paar
Euro drei Menschenleben auslöschte", sagt Bernd Fuchs rückblickend.
Das Tötungsdelikt von Neulußheim sei hinsichtlich der dadurch
ausgelösten Fassungslosigkeit und Betroffenheit mit den Ziegelhäuser
Morden vergleichbar: "Das Motiv und die Abläufe waren so unvorstellbar
wie die Tatsache, dass die Tat von Menschen begangen wurde, die mitten
unter uns leben".
RNZ vom 5.1.2004, ganzen Artikel auf
www.rnz.de lesen

Obdachlosen-Aktion zu Weihnachten in Neulußheim
Dass die Menschen in Neulußheim noch immer von der
schrecklichen Bluttat an einem Obdachlosen geprägt sind, wurde in einer
erstmals durchgeführten Aktion deutlich. So hatten Heimatvertriebene in
Erinnerung an ihr eigenes Leid Obdachlose zu einem Speise- und
Gabentisch an die Bushaltestelle vor dem Rathaus eingeladen. Als ob die
betroffene Randgruppe der Gesellschaft den Ort derzeit bewusst meiden
würden, kam es nur zu wenigen Besuchen von Obdachlosen. Dennoch war
Gertrud Rupp über die Zurückhaltung nicht enttäuscht: "Wir wollten
gerade zu Weihnachten ein Zeichen setzen und werden diese Aktion in
Zukunft wiederholen."
www.morgenweb.de vom 27.12.2003

Was Neulußheims Bürgermeister Gerhard Greiner "nicht aus dem Kopf geht"
- Kinder zur Achtung vor dem Menschenleben erziehen
Neulußheim. "Mir geht das nicht aus dem Kopf", sagt
Bürgermeister Gerhard Greiner immer wieder. Wir sitzen in seinem
Rathauszimmer und reden über die Kinder, die einen Obdachlosen brutal zu
Tode geprügelt haben. Die heimelige, kultivierte Atmosphäre mag so gar
nicht zu dem schrecklichen Thema passen. Riesige Grünpflanzen, jede
Menge ästhetischer Werke regionaler Künstler und auf dem Tisch brennen
die drei Kerzen des Adventskranzes. Bevor Greiner vor über zehn Jahren
Neulußheims Gemeindechef wurde, war er Kunsterzieher. Das heißt: Er
kennt Kinder und Jugendliche. Nein, "Verständnis" für die bösen Kinder -
wie im teilweise unterstellt wird - kann er nicht aufbringen. Aber er
sucht nach Erklärungsmustern und sagt: "Sie setzten das in die Tat um,
was verbal am Stammtisch passiert - auch in unserer Gemeinde." Er
spricht auch von "großen Widerständen" innerhalb des Ortes gegen seinen
"runden Tisch", den er "Steuerungskreis" nennt und dessen großes Ziel
eines ist: Kindern und Jugendlichen klar zu machen, dass ein
menschliches Leben das Wertvollste ist. Was Gerhard Greiner sagt, klingt
überlegt, "Schnellschüsse" sind nicht seine Art: "Was bei uns passierte,
wird immer wieder als die 'absolute Gewalttat' dargestellt. Aber das hat
andere Hintergründe, die gehen noch viel tiefer und sind viel
erschreckender als Aggressionen". Das ist seine Überzeugung. Für ihn
manifestiert sich in der Bluttat die völlige Entwertung, Erniedrigung
und Geringschätzung eines Menschenlebens.
"Mir geht das nicht aus dem Kopf", sagt er, "dass sich
morgens die Schulkinder verabredeten, um ,Penner zu klatschen'". Und
"mir geht es nicht aus dem Kopf, dass mehr als 20 Schüler Bescheid
wussten". Können Sie sich vorstellen, dass ein Mädchen zu dem am
Boden liegenden schwer verletzten Johann Babies sagt: "Was gibt Dir das
Recht mich anzuglotzen?" Verständnis für die jugendlichen Täter? -
wohl kaum. Aber da ist etwas anders, etwas, das "VerAnworten" heißt,
sprich Antworten auf Fragen zu geben. Deshalb der "Steuerungskreis", der
sich aus all jenen zusammensetzt, die sich in der Gemeinde
"Verantwortungsträger" nennen: Kommunalpolitiker, Kirchengemeinderäte,
Pfarrer, Lehrer, Erzieher, Elternbeiräte, Vereinsvorstände. Sie wollen
Wege finden, die eine Perspektive aufzeigen. "Wege entstehen, wenn wir
sie gehen", sagt der Schulpsychologe Bodo Reuser.
Die Neulußheimer sind bereit zu gehen: "Wenn unsere
Arbeit Sinn machen soll, dann müssen wir so früh wie möglich damit
anfangen". Das heißt: im Kindergarten. Wertvolle Hilfestellung kommt von
der Polizeidirektion aus Heidelberg. Erfahren in Präventionprogrammen,
selbst für die Kleinsten, begleitet die Behörde die Neulußheimer
Bemühungen um ein "Wir-Gefühl". Pressesprecher Harald Kurzer: "Wir haben
in Neulußheim die große Chance, dass es uns gelingt, einen Stein in
Bewegung zu setzen. Was hier passiert, ist in dieser Form einmalig, ein
Modellprojekt". Konkrete Projekte in Kindergärten, Schulen, Vereinen
sollen ab Januar gestartet werden.
"Bislang", so der Bürgermeister, "bestimmt das
schreckliche Geschehen noch unseren Alltag und drängt anderes zurück.
Wir müssen dahin kommen, die Tat in das Tagesgeschäft zu integrieren".
Denn wenn erst das öffentliche Interesse an den "bösen Kindern aus
Neulußheim" nachlässt, erst dann beginnt die wirkliche Aufarbeitung. Für
Gerhard Greiner stellt sich dabei nicht die Frage nach der Schuld, aber
die Frage nach der Zukunft und der Gegensteuerung des moralischen
Werteverfalls. Das ist sein Ansatz. Unterstützung erfährt er vom Rektor
der Hauptschule, Peter Scholl. Fünf der verdächtigten Schüler drücken in
der Lußhardt-Schule die Schulbank. Ein sechster kam jetzt aus Hockenheim
dazu. Über den Totschlag wurde auch in der Klasse jener geredet, die es
offenbar dem "Penner Paul" zeigen wollten. Andere Schulen verweigern die
Diskussion.
Die Hütte, vor der Babies erschlagen wurde, steht
nicht mehr. Hier wird ein Baum gepflanzt und eine "bescheidene"
Gedenktafel angebracht werden
Ingrid Thoms-Hoffmann, RNZ vom 17.12.2003,
www.rnz.de

Die Herausforderung der unfassbaren Tat annehmen statt verdrängen
Beiträge der Podiumsteilnehmer bei
Auftaktveranstaltung "Wir - auf der Suche nach Antworten": Verantwortung
trägt jeder
Neulußheim. Das Wissen um die Tötung eines hilflosen
Menschen, von Kindern und Jugendlichen gemeinsam begangen, lag wie ein
bedrückender grauer Schleier über der Veranstaltung, zu der man sich
unter dem Motto "Wir - auf der Suche nach Antworten" in der Aula der
Lußhardt-Schule getroffen hatte (wir
berichteten).
Kommunalpolitiker, Vertreter der Kirchen,
Lehrerkollegium und Elternbeiräte sowie Vereinsvertreter trafen hier mit
kompetenten Fachkräften zusammen. Bodo Reuser, der Leiter der
psychologischen Beratungsstelle der evangelischen Kirche in Mannheim,
ging in seinem dreiviertelstündigen Vortrag auf die Entwicklung des
Kindes und des Jugendlichen in der Zeit der Pubertät ausführlich ein. Er
zitierte die französische Psychologin Francoise Dolto, die von der
Pubertät als der Zeit spricht, in der "der Hummer seinen Panzer
verliert". Also einer Zeit der leichten Verletzbarkeit, einer Zeit, in
der neue Werte gesucht, bei den Erwachsenen aber oft nicht gefunden
würden. Deshalb seien die Jugendlichen auf der Suche nach
Übereinstimmung, es komme zu Abhängigkeiten vom Urteil anderer,
schließlich sei man auch auf der Suche, andere in vergleichbarer
Situation zu finden.
So ergebe sich, wie Reuser weiter ausführte, dass man
sich in einer Gruppe wohler, vor allem sicherer fühle, hier werde die
Unsicherheit genommen und die Risikobereitschaft vergrößert. Innerhalb
der Gruppen verteilten sich dann, so Reuser, die Rollen, und bekannt sei
das Phänomen, dass letztendlich ein "Außenfeind" eine Gruppe im Inneren
stärken könne. Bodo Reuser machte deutlich, dass er dies nur
sachlich-nüchtern aufschlüssele, keine Wertung mit einfließen lassen
wolle. Er hatte bereits anfangs deutlich gemacht, dass sich ein solcher
Fall überall hätte ereignen können. Diese Tatsache solle aber nicht zu
der Folgerung führen, dass man die Tat verdrängen und die Zuständigkeit
ablehnen könne.
Der zweite Referent des Abends war Schulleiter
Peter Scholl. Innerlich bewegt und doch jederzeit sachlich
informierte er über die Tage nach der Tat, als "das alles wie ein Orkan
durch die Schule ging." Sprachlos sei man gewesen und entsetzt, sowohl
die Schüler als auch die Lehrer. Schließlich habe man auch bald
erfahren, dass es neben den Mittätern auch noch eine Reihe von
Mitwissern gab. In allen Klassen wurde über die Tat gesprochen, dabei
standen die Lehrer, selbst völlig verunsichert, vor der schweren
Aufgabe, dies für alle Schüler von sechs bis 16 Jahren jeweils
altersgerecht zu tun.
Mit Hilfe von außen, einer Supervision, habe man versucht, die Situation
für die Lehrer zu stärken, Schwerpunkte seien zunächst die Klassen mit
Tatbeteiligten gewesen, führte Peter Scholl weiter aus. Das bereits
zuvor aufgebaute Netzwerk gegen Gewalt würde jetzt noch enger geknüpft
und die Zusammenarbeit mit Gruppen und Vereinen noch mehr intensiviert
werden.
Harald Kurzer, der Sprecher der
Polizeidirektion Heidelberg, beleuchtete zunächst die strafprozessuale
Seite des Falles. 17 Menschen seien im Ermittlungsverfahren vernommen
worden, die Ermittlungen seien abgeschlossen, wahrscheinlich am morgigen
Dienstag würden die Akten an die Staatsanwaltschaft übergeben. Anfang
kommenden Jahres sei mit der Anklageerhebung seitens der
Staatsanwaltschaft zu rechnen, eventuell würden noch Gutachter
hinzugezogen. Kurzer widersprach dabei auch gelegentlichen Vorwürfen, es
sei zu wenig Information an die Öffentlichkeit gekommen.
Ermittlungsverfahren seien schließlich immer geheim, erst die
Hauptverhandlung vor Gericht sei öffentlich. Diese Verhandlungen werden
vor der Jugendgerichtskammer des Landgerichts Mannheim stattfinden. Da
Jugendliche angeklagt sind, wird es im Ermessen des Gerichts liegen, ob
die Verhandlung wirklich öffentlich ist.
Genügend Zeit stand auch für Fragen aus der Reihen der
Teilnehmer der Veranstaltung zur Verfügung. So wurde angemahnt, dass
viele Jugendliche Gewaltbereitschaft vor allem bei Videos erleben
könnten. Polizeisprecher Kurzer stimmte zu: "Wenn Eltern oft wüssten,
was sie im Regal haben, es fehlt die Medienkompetenz". In die gleiche
Richtung zielten auch die Überlegungen, dass Jugendliche sich eine
virtuelle Welt schaffen. Schuld könne man aber, so war man sich einig,
nicht allein "dem Fernsehen" geben, es komme darauf an, wie das
Fernsehen "konsumiert" werde, ob Eltern beispielsweise Positionen
beziehen oder in missverstandener Freiheit alles ignorierend zulassen.
Die Probleme der Schulen gebe es auch in Vereinen,
machte ein weiterer Beitrag deutlich. Es gebe aber auch zu wenig
ehrenamtliche Mitarbeiter, deshalb seien diese oft überfordert. Viel
mehr Menschen müssten bereit sein, sich für die Jugend einzusetzen,
meinte unter dem Beifall der Besucher die Vorsitzende eines großen
Sportvereins: "Wir müssen Arbeit auf mehrere Schultern verteilen."
Schulleiter Wolf von der
Theodor-Heuß-Realschule in Hockenheim sprach kurz über seine Erfahrungen
in diesem Bereich (Schüler der Realschule sind ebenfalls tatverdächtig)
und machte deutlich, dass man nicht übersehen dürfe, dass die Erziehung
für manche Eltern eine sehr große Herausforderung sei. Zum
Baby-Wickel-Kurs gingen alle jungen Eltern, Erziehungskurse für Eltern
seien aber weniger gefragt. Hier müsse man einen wichtigen Ansatzpunkt
sehen.
An die Verantwortlichkeit aller für die Jugend, nicht
nur der Eltern und beruflichen Erzieher, appellierte Pfarrer Uwe
Sulger. Man dürfe nicht immer nach jemandem suchen, "der uns die
Sorge abnimmt", man müsse sich selbst den Herausforderungen stellen.
Bürgermeister Gerhard Greiner machte in seinem
Schlusswort deutlich, dass man in Neulußheim sich intensiv den
Hausforderungen stellen werde und wolle, die ein solcher Vorfall auf die
gesamte Gemeinschaft habe. Das Interesse an der Initialveranstaltung
habe die Zuversicht aufkommen lassen, dass auch bei den verschiedenen
Gesprächen in den sich jetzt bildenden "runden Tischen" das Ziel
verfolgt werde, dass neue Perspektiven im Zusammenleben der Generationen
und ganz unterschiedlicher Menschen geschaffen werden könnten.
ba, Schwetzinger Zeitung vom 15.12.2003

Wenn
die "Beißhemmung" verloren geht
Eine andere Betrachtungsweise des "runden Tisch" in
Neulußheim
- "Opfer des J. Babies" annehmen?
Neulußheim. Eine Gemeinde macht sich auf, einen Mord
in ihrer Mitte aufzuarbeiten. Absolut löblich. Aber: Da quälen acht
innerlich und moralisch völlig verwahrloste Heranwachsende, denen
offenbar jede genetisch veranlagte "Beißhemmung" abhanden gekommen ist,
zwei Stunden lang einen Menschen mit Schlägen und Tritten zu Tode und
dann geht es in einer Veranstaltung, in der das Ereignis aufgearbeitet
werden soll, um Verständnis, Verständnis und noch einmal Verständnis.
Auch um Selbstzweifel und darum "Was haben wir alle falsch gemacht?".
Aufarbeitung als Mittel der inneren Gesundung ist der
Grundansatz. Doch dann versteigt sich der Experte von der
psychologischen Beratungsstelle der evangelischen Kirche Mannheim, Bodo
Reuser, sogar dazu, davon zu sprechen, dass man "das Opfer des Johann
Babies" annehmen solle. Dazu muss dringend gesagt werden: Johann Babies
hat kein Opfer gebracht, denn ein Opfer bringt man freiwillig. Dem
Menschen Johann Babies wurde sein Leben vielmehr gewaltsam und gegen
seinen Willen entrissen. Ansonsten fällt an diesem Abend kaum einmal der
Name des Getöteten. Ein Obdachloser hat keine Lobby.
Betretene Gesichter in der voll besetzen Aula der
Lußhardtschule in Neulußheim - sowohl auf dem Podium als auch unter den
Zuhörern, aber nicht in Trauer um den Toten, sondern angesichts der
Tatsache, dass da etwas "in unserer Mitte massiv schief gelaufen ist",
so Bürgermeister Greiner. Die von Gerhard Greiner und Pfarrer Uwe Sulger
mit besten Absichten initiierte Veranstaltung, die nur der Auftakt zu
einer "Aufarbeitungsoffensive" in der Gemeinde Neulußheim sein soll,
will den Neulußheimern vermitteln, dass sie hinschauen und sich
einmischen müssen. Früher nannte man das einfach Zivilcourage zeigen und
das war durchaus auch verbunden mit Grenzen aufzeigen. Von Strafe will
man jedoch auf der Veranstaltung nicht sprechen. Konsequenzen ja, die
müsse das Verhalten natürlich haben, Strafe? Dafür ist die Justiz
zuständig.
Der Pressesprecher der Polizeidirektion Heidelberg
Harald Kurzer gibt dann einen kurzen Überblick über den Stand der Dinge.
Man habe 17 Personen vernommen. An der Tat beteiligt oder in
Randbereichen dazu sollen 10 bis 15 Jugendliche sein, außerdem gab es
noch einmal so viele Mitwisser, wie der Rektor der Lußhardtschule
erklärt. Weitere Vernehmungen seien nicht geplant, weil man sich keinen
zusätzlichen Erkenntnisgewinn davon verspricht. Der Tatablauf sei
geklärt, die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zugeführt. Man
rechtet Mitte Januar mit einer Anklage der Staatsanwaltschaft bei der
Jugendgerichtskammer des Mannheimer Landgerichts. Ob die
Hauptverhandlung öffentlich sein wird, sei offen. Das liege im Ermessen
des Gerichts.
Bodo Reuser gibt anfänglich einen
dreiviertelstündlichen Einblick in die psychologischen Grundlagen des
Erwachsenenwerdens. "Wenn der Hummer den Panzer wechselt, ist er sehr
gefährdet." Der Satz soll verdeutlichen, dass Jugendliche in der Zeit
der Pubertät ganz besonders auf Vorbilder angewiesen sind. In einer
Phase der eigenen Verunsicherung hinterlassen Erwachsene oft einen
falschen Eindruck bei den Jugendlichen, die sich dann abwenden. In der
Gruppe könne sich dann ein Verhalten etablieren, das von den Stärksten
vorgegeben werde. Aber in der Gruppe auch einmal "Nein" zu sagen und
seinen eigenen Standpunkt zu behaupten müsse gelernt werden.
Die Veranstaltung in der voll besetzten Aula der
Lußhardtschule, die sich vor allem an Lehrer, Vertreter der Vereine,
Gemeinderäte und Vertreter der Kirchen richtete, warf schließlich einen
Blick nach vorn. Eine gemeinsame Anstrengung der Gemeinde Neulußheim
soll alle Möglichkeiten einer Gewaltprävention einsetzen, damit so etwas
nicht noch einmal passieren kann. Denn solche Abgründe, dass wir uns
einen Menschen tot wünschen, gibt es in jedem von uns. Nur besteht
zwischen abstraktem Wunsch und konkreter Tat noch ein kleiner
Unterschied.
Harald Berlinghof in der RNZ vom 13.12.2003,
www.rnz.de
Bodo
Reuser, Diplom-Psychologe,
Regionalvertreter Nordbaden
Psychologische Beratungsstelle der Ev. Kirchengemeinde
C 3, 5 - 6, 68159 Mannheim, Tel 0621/28 000
ev.pb.ma@t-online.de,
www.erziehungsberatung-baden-wuerttemberg.de/verein/vorstand.htm
Pfarrer Uwe Sulger
http://www.ev-kirche-neulussheim.de/home.html
Polizeidirektion Heidelberg
www.polizei-heidelberg.de

Mutig -
hilflos
"Den Tätern muss beigestanden
werden, damit sie mit einer Last weitergehen können, die nie von ihnen
genommen wird, solange sie leben. Wenn wir ihnen ein endloses Übel
zufügen, zwingen wir sie in einen Widerstand, der es ihnen unmöglich
macht ihre Tat zu erkennen und sie auf sich zu nehmen."
Das schrieb der in diesem Jahr verstorbene Gerichtsreporter Gerhard
Mauz. Er kannte nicht die "bösen Kinder" von Neulußheim, aber er kannte
die menschliche Seele und ihre Abgründe. Wenn sich jetzt die
Neulußheimer zusammensetzen, um über die schreckliche Tat "ihrer" Kinder
zu diskutieren, dann helfen sie sich zunächst einmal selbst, mit dem
Furchtbaren umzugehen. Aber es hebt sie auch positiv hervor, dass sie
nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Auch wenn die Hütte des von
den Jugendlichen getöteten "Waldmenschen" nicht mehr steht, mit jedem
Treffen wird die Erinnerung an ihn und die Tat wachgehalten.
Unser Mitarbeiter Harald Berlinghof war
im Gespräch in Neulußheim dabei (vergl.
oben stehenden Bericht) und er sieht die Diskussion von einer
anderen Warte, kommt in seiner kommentierenden emotionalen
Berichterstattung zu anderen Schlüssen, als die, die bisher in der RNZ
gezogen wurden. Wir wollen aber auch diese Meinung nicht unterdrücken,
weil auch sie ein Stück Wahrheit enthält und weil sie zeigt, wie hilflos
die Erwachsenen sind, die ein Verbrechen aufarbeiten wollen. Und wie
schwierig es für sie ist, für das Dunkle einer kindlichen Seele die
richtigen Worte zu finden.
Der Kommentar, Ingrid Thoms-Hoffmann
in der RNZ vom 13.12.2003, www.rnz.de

Nur
kleinräumige Maßnahmen vernetzen nachhaltig
Großes Interesse an der
Initialveranstaltung mit Verantwortungsträgern aus dem
kommunalpolitischen und schulischen Bereich
Neulußheim.
"Wir - Auf der Suche nach Antworten". Dieser Gedanke zog sich auch wie
ein roter Faden durch den Abend, der am Donnerstag als
Initialveranstaltung den Beginn weiterer Gesprächreigen und "runder
Tische" eröffnete. Die Suche nach Antworten und das Finden neuer Wege
sah man als große Aufgabe an, mit dem Geschehenen zu leben und die
Zukunft zu gestalten, hoffnungsvolle Perspektiven zu schaffen.
Zwei Monate sind seit der Bluttat im
Rande von Neulußheim vergangen. Die Frage nach der Schuld und nach den
Schuldigen müsse man weiter führen, alle müssten sich damit auseinander
setzen, betonte Bürgermeister Gerhard Greiner zu Beginn der knapp
zweieinhalbstündigen Veranstaltung.
Auf dem Podium konnte Bürgermeister Greiner neben Pfarrer Uwe Sulger und
Rektor Peter Scholl zwei weitere Gäste begrüßen: Bodo Reuser ist der
fachliche Leiter der psychologischen Beratungsstelle der evangelischen
Kirche in Mannheim. Harald Kurzer ist der Pressesprecher der
Polizeidirektion in Heidelberg.
Bodo Reuser von der psychologischen
Beratungsstelle machte vorab deutlich, dass es durchaus "normal" sei,
dass man wegzudrängen versuche, und zwar schon deshalb, weil man sich
selbst schützen wolle. Dennoch müsse man sich verdeutlichen, "was
passiert in dem Moment, in dem so etwas passiert".
Peter Scholl, Rektor der Lußhardtschule,
schilderte in sachlich klaren Worten den Ablauf des plötzlich total
veränderten Lebens in der Schule für die Schüler ebenso wie für die
Lehrer. Man wolle das Netzwerk zu Gruppen und Vereinen noch dichter zu
knüpfen.
Pressesprecher Harald Kurzer von der
Heidelberger Polizeidirektion ging auf den strafprozessualen Ablauf ein
und machte deutlich, dass die Kriminalität bei Jugendlichen in den
letzten knapp zwei Jahrzehnten sprunghaft gestiegen sei. "Es kommen oft
viele glückliche Umstände zusammen, dass eine Gewalttat nicht so endet
wie hier bei Ihnen in Neulußheim," sprach Kurzer offen aus.
Kurzer sparte auch nicht mit offenem
Lob für die begonnenen und geplanten Aktionen: "Ihre Veranstaltung am
heutigen Abend kann durchaus Pilot-Charakter haben," denn nur mit
kleinräumigen Maßnahmen könne man eine wirklich nachhaltige Vernetzung
erreichen."
Die Medienkompetenz, der Umgang mit den
Medien sei nicht nur kein Unterrichtsfach, sondern komme überhaupt in
der Erziehung zu kurz, war mehrfach zu hören. Parallel einher gehe die
Tatsache, dass die "Mitfühlfähigkeit" derzeit immer mehr abhanden komme.
Eine Reihe von interessanten
Wortmeldungen zeigte, wie intensiv man sich mit diesem Fall beschäftigt.
Dieses Interesse bezeichnete Bürgermeister Greiner als Zeichen, "dass
Ihnen Gemeinde und Jugend nicht gleichgültig sind". Wer künftig bei
einem der "runden Tische" in den Bereichen Kindergarten, Schule, Vereine
und Erwachsenenbildung mitarbeiten wolle, sei willkommen, ein Anruf im
Rathaus genüge. Über weitere Einzelheiten der Veranstaltung werden wir
noch berichten.
ba,
Schwetzinger Zeitung vom 13.12.2003, mehr auf
www.morgenweb.de

Mao geht nicht oft in die Kirche.
Anfang November war der Mann mit dem langen Bart gleich zweimal dort.
"Wegen dem Hennes", sagt Mao, der nach dem großen chinesischen
Vorsitzenden heißt, aber nicht mehr weiß warum. Hennes und Mao, zwei
Obdachlose, der Volksmund nennt sie Penner, Mao nennt sich lieber Weltenbummler.
Sie haben sich gekannt, wie man sich eben kennt auf der Straße.
Nun ist Hennes tot. Erschlagen. Von
Jugendlichen und Kindern. Und Mao hat eine Kerze gekauft. Dort am Altar der
evangelischen Kirche in Neulußheim steht Hennes Fahrrad samt Anhänger, mit dem
er immer einkaufen gefahren ist. Direkt hinter dem inzwischen schon berühmten
Aufkleber "Ein Herz für Kinder" hat Mao seine Kerze in eine
Bierflasche gesteckt und angezündet. "Der Hennes hat Bier geliebt",
sagt Mao. Das ist seine Art zu trauern.
Die Kirche ist brechend voll bei diesem
Trauergedenkgottesdienst für Johann Babies, den seine Freunde Hennes nannten.
Ganze Schulklassen drängen sich in den Reihen, es werden zusätzliche Bänke
aufgestellt. Zwei Wochen sind seit der schrecklichen Tat vergangen, und die
Neulußheimer sehnen sich nach klaren Worten und einem Schlussstrich. Doch die
Trauerfeier ist erst der Anfang. "Gewalt beginnt im Kopf, mit der
Sprache", sagt Bürgermeister Gerhard Greiner in der Kirche, "sie
bestimmt über die Medien unsere Alltagswahrnehmung." Jede Erklärung
bleibt provisorisch und bruchstückhaft.
Am späten Nachmittag des 15. Oktober,
so das Vernehmungsprotokoll, fährt eine Gruppe von acht Jugendlichen zu der
Waldhütte, in der Penner-Paule, wie sie ihn nennen, Unterschlupf gefunden hat.
Mit einem mitgebrachten Prügel, herumliegenden Ästen und einem Besenstiel
schlagen sie über zwei Stunden lang auf den 54-jährigen Obdachlosen ein. Der
Hauptverdächtige ist 19 Jahre alt, die andern zwischen zwölf und 14, auch zwei
Mädchen sind dabei. Viele schlagen zu, keiner ruft Nein, das Protokoll spricht
von anfeuernden Rufen. Das Opfer lassen sie mit Rippenbrüchen, Frakturen an
Armen und Beinen liegen. Johann Babies, genannt Penner-Paule, stirbt an inneren
Blutungen und Unterkühlung. Kein Kind vertraut sich den Eltern an, kein
Jugendlicher telefoniert um Hilfe. Nicht einmal anonym. Seitdem fragen sich
nicht nur die Neulußheimer, was mit ihren Kindern los ist.
Fast zehn Jahre lang lebte Johann
Babies in Neulußheim, einem kleinen Ort bei Hockenheim in Baden-Würtemberg.
Viele der 6.000 Einwohner kannten sein Gesicht, doch für die meisten hatte er
weder einen Namen noch eine Geschichte. Er saß an der Bushaltestelle vor dem
Rathaus, wenn er sein Tagesgeld abgeholt hatte, sein Fahrrad samt Anhänger gehörte
zum Ortsbild, sein roter Bart leuchtete. Der Bürgermeister grüßte, der
Pfarrer plauderte mit ihm, wenn er zum Essen ins Pfarrhaus kam.
Einen Namen
bekam Johann Babies erst, als er tot war.
Mao, der mit ihm auf Platte war, ist
wohl der Einzige, der seine Geschichte kennt. Fernfahrer sei er gewesen, viel
unterwegs, verheiratet und glücklich, bis ihn seine Frau betrog. "Das war
an Weiberfasnet", erzählt Mao, "darüber ist er nie weggekommen. Der
Hennes war monogam." Er trank, verlor seinen Führerschein, seine Arbeit,
seine Wohnung. Und landete so auf der Straße. "Er war mitten im Ort und
doch nicht Teil der Dorfgemeinschaft", sagt der Pfarrer selbstkritisch.
Aber auch das erklärt eigentlich nichts.
Rektor Peter Scholl ist ein ernster
Mann. Er ist 54 Jahre alt, die Anspannung der letzten Wochen hat seine
Mundwinkel nach unten gebogen. Eines der tatverdächtigen Mädchen ging in seine
Schule, bevor sie beurlaubt wurde. Nur eine der Tatverdächtigen, aber auch eine
ist zu viel. Sie fiel weder durch besondere Aufmüpfigkeit auf noch dadurch,
dass sie außergewöhnlich in sich gekehrt war. Ein normales Mädchen eben, aus
einer unauffälligen deutschen Familie, wie die anderen auch. Das erschreckt
viele am meisten. Peter Scholl hat all die Fernsehteams
rausgeworfen, die in seine Schule drängten und Schüler vor die Kameras
zerrten. Er hat Schulpsychologen ins Haus geholt, hat diskutiert mit den Schülern.
Die müssen damit leben, dass die 13-Jährige, die sie als freundliches Mädchen
kennen, mindestens dabei war, als ein wehrloser Mann totgeschlagen wurde.
"Mörderin!", beschimpfen sie die einen. "Sie bleibt meine
Freundin", sagen die anderen. Nicht nur die Klasse ist zerrissen. "Wir
haben versagt", sagt der Schulleiter und meint nicht nur die Schule.
"Aber wir wissen nicht wo." An der Schule gibt es Training für
Gewaltprävention, Mediatoren und eine Schulordnung, die Gewalt ausdrücklich
verurteilt.
Wie konnte das passieren? Wie konnten
sie stundenlang auf jemanden einprügeln, der schon wimmernd am Boden lag? Diese
Fragen quälen auch den Rektor. "Manchmal kommt es mir vor, als hätten die
Kinder nicht realisiert, was sie da tun", sagt Scholl zögernd, "als
ob sie dachten, man könne einfach einen Knopf drücken, und das grausame Spiel
ist aus." Doch es war kein Videospiel, das weiß auch der Rektor. Es ist
nur ein weiteres Bruchstück.
Der Waldweg zur Hütte ist nass vom
Regen und übersät mit toten, schwarzen Käfern. Er führt dicht vorbei an
Johann Babies Zufluchtsort, der zum Tatort wurde. Nur hundert Meter entfernt die
Tennishalle und das Waldhaus, wo man italienisch essen kann. Gleich hinter den Bäumen
rauscht die befahrene Bundesstraße. Dieser Ort ist nicht am Rand der Welt. An
der Hüttenwand klebt die Todesanzeige der Gemeinde: "Unfassbares ist in
unserer Gemeinde geschehen. Wir wollen nicht vergessen. Wir erinnern und
gedenken Johann Babies." Darunter Gestecke und Töpfe voll Erika und Stiefmütterchen.
Wo Johann Babies gelebt hat, liegen Müllsäcke
voller Bierdosen, eine alte Hose, Holzscheite, das Gerüst eines Fahrrads. Alles
liegt durcheinander, übereinander, Dreck, Müll, versiffte Lappen. Meinten die
Täter, das Leben eines Menschen, der so lebt, sei nichts wert? Auch das ist nur
ein Bruchstück.
Also wabern viele Gerüchte durch Neulußheim:
"Die wollten die Hütte für sich", heißt eines. "Der Ältere,
in der Schule nur Sechsen, der wollte doch zur Bundeswehr. Dann hätte er noch
rumgeballert", vermuten andere. Ein Gerücht scheint sich inzwischen als
wahr herausgestellt zu haben: Schon zwei Tage vor seinem Tod sollen Neulußheimer
Jugendliche Johann Barbies brutal zusammengeschlagen haben. Fest steht, dass die
Polizei gegen vier weitere 14- und 15-Jährige ermittelt.
Die Empörung ist groß in Neulußheim.
Sie mündet in anonymen Briefen und E-Mails an den Bürgermeister. Der
Stammtisch hat die Täter im Blick und fordert harte Strafen für die Kinder.
"Was sind das eigentlich für Menschen, die so was machen? Oder sind das überhaupt
noch Menschen?", fragt ein Anonymus, der sich selbst als junger Neulußheimer
bezeichnet. Vor so viel selbstgerechtem Zorn wird auch dem Bürgermeister kalt.
Simple Lösungen ersparen schmerzhaftes Nachdenken.
Die Familien sollen wegziehen, ist so
eine Forderung. "Ratschläge können wie Schläge sein", sagte Pfarrer
Uwe Sulger im Trauergottesdienst. Und später im Pfarrhaus fügt er noch hinzu:
"Ich will nicht, dass die Leute durchs Dorf gejagt werden." Der 44-Jährige
ist ein engagierter Pfarrer, in seiner Jugend war er selbst in einer Art Bande
in Mannheim. Er weiß, was Gruppendynamik ist, er kennt Begriffe wie Ehre und
Mut. Sulger betreut zwei Tatverdächtige und
deren Familien, vermittelt therapeutische Hilfe, bietet selbst Gespräche an.
"Ich spüre eine Riesenunsicherheit bei den Kindern", sagt Sulger. Die
Polizei stellte bei der Vernehmung eher fehlende Betroffenheit fest. Sulger
glaubt, die Jugendlichen realisierten erst langsam, was sie getan haben. Aber
sie müssten lernen, die Verantwortung zu übernehmen und mit der Schuld zu
leben.
Auch Bürgermeister Greiner will die
Jugendlichen nicht verdammen. Seit mehr als zehn Jahren ist er im Amt. Die
letzten Wochen waren die schwersten. Auch er sucht nach Erklärungen und findet
nur Bruchstücke. Doch als Rathaus-Chef muss er manchmal ganz praktisch denken.
Nach Wochen der Lähmung und des Schweigens hätten die Bürger klare Worte
erwartet. Mit dem Trauergottesdienst wollte Greiner nicht nur Abschied von dem
erschlagenen Obdachlosen nehmen. Er wollte auch die aufgeladene Stimmung im Ort
in den Griff bekommen. Das war vor vier Wochen.
Doch der Bürgermeister will mehr, will
wenigstens ein paar der Bruchstücke zu einem Bild zusammenfügen, will
gemeinsam mit anderen weiterfragen: "Warum haben Kinder, die in unsere
Kindergärten und Schulen gingen, eine so schreckliche Tat begangen? Was ist bei
uns falsch gelaufen? Wie kann man verhindern, dass sich eine solche Tat
wiederholt?" Mit einem runden Tisch vor wenigen
Tagen hat die Spurensuche in Neulußheim begonnen. "Wir legen die Sache
nicht ad acta, wir haken es nicht ab, wir wollen es aufarbeiten", sagt
Greiner. "Wir", das sind Pfarrer Sulger, Schulleiter Scholz, die
Jugendarbeiterin und Experten der Polizei. Sie wollen nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen. Sie wollen unbequeme Fragen stellen und vor allem
Antworten finden.
Nicht allen in Neulußheim gefällt
dieser Eifer. Viele meinen, einen Anspruch auf ein Stück Normalität zu haben.
Viele wollen nicht mehr erinnert werden an eine Tat, für die sie sich nicht
mitverantwortlich fühlen wollen. Bis auf einen sind die tatverdächtigen Schüler
nach den Herbstferien und vierwöchiger Beurlaubung nicht mehr an ihre alten
Schulen zurückgekehrt. Den 14-Jährigen drohen Jugendstrafen, die Jüngeren
sind noch nicht strafmündig. Für den 19-Jährigen wird es wohl härter kommen.
Er sitzt immer noch in Untersuchungshaft. Bis zum Prozess. Der soll Anfang nächsten
Jahres beginnen. Viele hoffen dann auf einen Neuanfang.
Längst gehen alle in Neulußheim
wieder ihren Geschäften nach. Mao hat sein Tagesgeld heute schon abgeholt und
steht an der Bushaltestelle, wo auch der Hennes immer saß, und trinkt ein Bier.
Längst flackern hier keine Kerzen mehr, die Gestecke und Blumen sind
verschwunden. Der Bürgermeister hat den örtlichen Bauhof beauftragt, die
Trauerstelle zu räumen.
Susanne Stiefel, taz Nr. 7224 vom
3.12.2003, mehr auf www.taz.de

Der Jugendtreff Point steht im
Zentrum
Ein gutbesuchter Jugendtreff ist der Point in
Neulußheim. Doch nicht alle Bürger sind glücklich damit. Mietmensch Philipp
Müller über Interessenkonflikte beim Job im Jugendtreff
Wenn Mäggie Straßner nachts
um zehn Uhr nach Hause fährt, dreht sie meist noch eine Runde durch Neulußheim.
Sie kennt die Stellen, an denen die Jugendlichen abhängen, wenn ihr
Jugendtreff, der Point, geschlossen ist. Beliebt ist die Treppe vor dem
Rathaus, die neben der Kirche an der Hauptstraße. Hier können die Älteren mit
dem Auto vorfahren, es gibt Stufen zum darauf Sitzen und im Zweifel schützt die
nahe Bushaltestelle vor Regen. Blöderweise lassen die Jugendlichen jede Nacht -
irgend jemand sitzt fast immer dort - ihre ausgelutschten Verpackungen von der
Döner-Bude, ihre Dosen und ihre Zigarettenpackungen liegen.
Die Treppe vor dem Rathaus gehört natürlich nicht
zum Jugendzentrum. Spätestens Montag stehen aber die Kirchgänger im Point,
weil sie sich darüber beschweren wollen, dass sie nur über Essensreste in den
Gottesdienst gelangt sind. Jugendliche haben den Dreck gemacht und Mäggie
Straßner ist die Leiterin des Jugendtreffs. Wozu bezahlen die Neulußheimer
denn den Point? Kümmert sie sich gar nicht um ihre Klientel? Nicht allen Bewohnern des Ortes
ist es geheuer, dass mitten im Zentrum, direkt unter dem Kindergarten, ein gut
besuchter Jugendtreff liegt. Vor fast fünf Jahren wurde es von einem
SPD-regierten Gemeinderat ins Leben gerufen. Der damalige Bürgermeister Gerhard
Greiner ist heute noch im Amt, aber die Mehrheiten in der Versammlung stehen
mittlerweile gegen ihn.
Mit meinem Eintreffen stellt sich die Frage, wo ich
übernachten soll. Der Mietmensch bekommt immer Kost und Logis für seinen
Einsatz. Eine SPD-Vertreterin bietet mir freie Übernachtung an, sogar mit
selbstgekochtem Essen. Der Bürgermeister ist für ein Hotel mit Frühstück.
Dort ist nichts frei, also bleibe ich bei Mäggie. Sie kümmert sich darum.
Vor dem Rathaus hat sie gleich
erkannt, wer da Döner essend auf den Stufen hockt. Aus ihrer Sicht müsste der
Jugendtreff nur länger geöffnet sein, dann hätte die Gemeinde weniger
Probleme. Alleine kann sie das jedoch nicht leisten, eine zweite Kraft müsste
her. Ob die Neulußheimer das aber wollen?
Getragen wird der Point von
einem Verein, finanziert von der Gemeinde und besucht von den Jugendlichen. Die
kämpfen seit einiger Zeit für längere Öffnungszeiten und mehr Personal. Sie
haben Unterschriften gesammelt und eifrig dafür gestimmt, dass ich als
Mietmensch bei ihnen aushelfe.
Ich bleibe für drei Tage in
Neulußheim. Mein Projekt sind die lange liegen gebliebenen Computer im JUZ, die
zusammengebaut und angeschlossen werden sollen. Eine sehr sinnvolle Aufgabe,
doch langfristig muss der Gemeinderat entscheiden, wie die Arbeit verteilt
werden soll. Vor dem Rathaus liegen wieder Dönerreste. Mäggie fährt nachts um
zehn noch einmal vorbei, sie kümmert sich darum.
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/11/0,1872,2008715,00.html
http://www.jugendtreff-point-neulussheim.de


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Update: 19.10.04 |