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Neulussheim - Gewalt2003-1
 

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Neulussheim: Acht 12 bis 19jährige töten Johann Babies im Wald am 15.10.2003
Dokumentation und Archiv

Informationen ab 12.12.2003

Johann Babies, Neulussheim
Johann Babies in Neulussheim
irgendwann vor Oktober 2003
 
Die Hütte von Johann Babies im Neulußheimer Wald am 17.10.2003
 
Am 4.12.2003 ist die Hütte
abgerissen und "sauber" planiert.
Warum nur?
 

 

 

Ihnen geht es immer noch zu gut

Zum GB-Eintrag von Dieter Scheck 04.10.2004
Ich kann dem Beitrag von Dieter Scheck nur Zustimmen. Er hat die Probleme sachlich aufgeführt. Und trotzdem will ich seinen Beitrag noch etwas ergänzen mit meiner eigenen Einschätzung: Ich, das ist ein 35-jähriger "Erwachsener" der oftmals noch vom Kopf her wie ein Jugendlicher zu denken vermag, kapiere einfach nicht, was manchmal in den Köpfen der "Kids" vorgeht.
Vor 20 Jahren war ich auch kein Musterknabe, und wir haben damals auch ziemlichen Mist gebaut. Und geprügelt haben wir uns auch. Nur war es halt so, das der Kampf vorbei war, wenn der andere am Boden lag. Heutzutage ist es ja so, das derjenige, der am Boden liegt, nochmal richtig eins in die "Fresse" bekommt. Und warum ? Nur damit der andere als supercooler Gangster vor seinen Freunden dastehen kann ???
Es ist leider unbestreitbar, das die Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft, und auch besonders bei Jugendlichen, stark zugenommen hat. Hemmschwellen gibt es eigentlich keine mehr. Wenn dann aber Argumente kommen, das ein Mitgrund die schlechten Zeiten in unserem Land sind, dann kann ich darüber eigentlich nur lachen. Obwohl es mehr zum heulen wäre.
Deutschland hat schon öfters schwere Zeiten durchmachen müssen. Aber ich glaube kaum, das damals die Kinder und Jugendlichen davon "Gewaltbereiter" wurden. Ganz im Gegenteil. Früher hat man sich noch gegenseitig geholfen. Ich bin fest der Meinung, das ein Mitgrund für die Aggressivität bei den Kids die fehlende Beschäftigung ist. Oder um es einfach zu sagen: Ihnen geht es immer noch zu gut.
Und wem langweilig ist, der lässt sich halt auch mal was dummes einfallen.

Ich will jetzt aber nicht sagen, das die Kids nur noch den ganzen Tag zuhause sitzen sollen, um in der Bibel zu lesen. Ganz sicher nicht. Sie sollen ja auch ihren Spaß haben und ihr junges Leben genießen. Aber alles eben in Grenzen.
Und Leute zu verprügeln nur aus Spaß an der Freude, mutwillig Eigentum anderer zu zerstören, oder gar Menschen zu ermorden (Sorry, für mich war die Tat kein Totschlag, sondern Mord) liegt weit weit außerhalb jeder Grenzen.

Und zum Schluß habe ich noch einen guten Rat für die Kids :

Glaubt nicht alles was ihr im Fernsehen seht !!! Als kleines Beispiel nenne ich mal die Musikvideos bei MTV oder VIVA. Glaubt ihr wirklich daran, das es die supercoolen Gangster-Rapper gibt ? Meint ihr vielleicht, das die "bösen Jungs" im realen leben auch so rumlaufen wie in ihren Videos ? Ganz sicher nicht ! Oder meint ihr das SIDO den ganzen Tag mit seiner Totenkopfmaske rumrennt ? Denkt mal nach. Euch wird da was vorgespielt, nur damit sich die CD's besser verkaufen.

Das ist nicht die reale Welt ! Sondern ihr seid real. Und verbaut euch nicht euer leben, in dem ihr solche Sch..... baut. Weil es das ganz einfach nicht Wert ist.

Gruß an alle Frank
Eintrag im Gästebuch von www.neulussheim vom 18.10.2004

 

 

Gedenkstein zum Todestag von Johann Babies - Ort des Erinnerns

Neulußheim. Gleichmäßig wuchs mittlerweile das Gras an der Stelle, wo einst die Waldhütte gestanden hatte. Nichts erinnerte bis gestern daran, dass hier vor genau einem Jahr ein Mensch auf brutale Weise zu Tode kam. Eine Tat von erschütternder Grausamkeit, angesichts derer - und das nicht nur im ersten Moment des Erschreckens - man sich am liebsten mit aller Macht distanziert hätte.

Doch Vergessen und Verdrängen bergen immer die Gefahr einer Wiederholung, nur Auseinandersetzung und Diskussion hingegen die Chance einer besseren Zukunft. Als Zeichen dafür, dass Neulußheim nicht einfach unreflektiert Gras über die Geschehnisse vom 15. Oktober 2003 wachsen lässt, steht seit gestern der Gedenkstein des Neulußheimer Steinbildhauers Matthias Schöner im Hubwald.

Als "mahnendes Zeichen und Stein des Anstoßes" will Bürgermeister Gerhard Greiner das Denkmal verstanden wissen. Es solle helfen, "nicht im Unfassbaren zu verharren, sondern voranzuschreiten, Orientierung zu geben und alles menschenmögliche zu tun, dass Menschenwürde nicht angetastet und schon gar nicht gebrochen" werde. Die Erinnerung mache auch deutlich, so Greiner, dass wir Erwachsene unsere Welt nicht mehr im Griff haben und dass wir den Jungen nicht mehr glaubhaft sagen können, wo es langgeht. "Wir müssen unsererseits wieder vorleben, was Toleranz, Mitmenschlichkeit, Zivilcourage, Achtung und Respekt vor der Würde eines Menschen im Alltag bedeuten", mahnte Greiner, der den Gedenkstein auch als "Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft" bezeichnete.

Als Symbole für Vergangenheit und Zukunft, als Bruch und den Wunsch auf eine hoffnungsvolle Verbindung lassen sich die drei Granitquader durchaus begreifen. Auf der Rückseite des Denkmals, die an die Vergangenheit erinnert, steht "Für Johann Babies", auf der Vorderseite "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Dass diesem ersten, in unserer Verfassung verankerten Grundrecht in Zukunft wieder, auch und vor allem von Kindern und Jugendlichen, mehr Beachtung geschenkt wird, dafür möchte Neulußheim alles tun. Der Gedenkstein ist einer von vielen Schritten auf diesem Weg.

"Das Thema meiner Arbeit war schwer. Ich musste mich sehr hineindenken, kam allein mit der Formensprache nicht aus und nahm so auch die Inschrift hinzu", erklärte der Bildhauer. Schöner hat an der Kunstakademie Karlsruhe Bildhauerei studiert und richtet sich nach Aufenthalten in Ungarn und Japan jetzt ein Atelier und eine Bildhauerwerkstätte in Neulußheim ein.

Die Bewohner der Schickardgemeinde, von denen doch etliche, ob sie den Toten nun selbst kannten oder nicht, am gestern Mittag den Weg in den Hubwald gefunden hatten, schätzten seine Arbeit sehr, sind ihm sichtbar dankbar für das, was er geleistet hat.

Nach den Worten Greiners gedachten sie einen Moment in aller Stille dem Toten, legten auf ein Denkmal Blumen nieder, das ihnen bei der weiteren Auseinandersetzung und Verarbeitung helfen, aber auch immer ein Ort der Stille, des stummen und fassungslosen Erinnerns bleiben wird. sei

www.morgenweb.de am 16.10.2004

Auch ein Jahr nach der Tat sind in Neulußheim die Wunden nicht verheilt

Am 15. Oktober 2003 verprügelten mehrere Kinder und Jugendliche einen Obdachlosen so stark, dass er starb

Melanie (Name von der Redaktion geändert) war eine der ersten, die es erfahren hat. Damals, am Morgen des 16. Oktober 2003, als Eltern, Lehrer, Bürgermeister und Straßenkehrer noch glaubten, dass dies ein ganz normaler Tag in der beschaulichen 6300-Seelen-Gemeinde Neulußheim werden würde. Da kursierte auf dem Schulhof der Realschule Hockenheim bereits die Nachricht, die alles verändern sollte: Drei Jungs aus Melanies Klasse und einige weitere Jungen und Mädchen hatten am Vorabend den Obdachlosen Johann Babies im Neulußheimer Wald so brutal verprügelt, dass er in der Nacht an seinen Verletzungen starb.

Neulußheim, ein verregneter Tag im Oktober 2004. Melanie ist längst nicht mehr Schülerin in Hockenheim, trotzdem erinnert sie sich genau an den kalten Herbstmorgen vor einem Jahr. "Ich hab' das erst gar nicht geglaubt", erzählt die heute 14-Jährige. Schließlich kennt sie die "Jungs", die den "Penner Paul" geschlagen haben, alle seit Jahren. Fast täglich war sie früher mit ihnen zusammen. Drüben an der Halfpipe haben sie zusammengehockt, geraucht, gequatscht. Alles "ganz normale Jungs halt". Nur irgendwann seien "die immer dümmer geworden", hätten dauernd erzählt, wen sie jetzt wieder "batschen" gehen.

Inzwischen hat Melanie kaum noch Kontakt zu ihren früheren Freunden, die bei der Prügelei dabei waren. Obwohl fast alle Jugendliche, die das Landgericht Mannheim im Juli verurteilt hat, noch in Neulußheim wohnen. Gegen drei 15-Jährige verhängte die Große Jugendkammer zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung, ein 14-Jähriger bekam ein Jahr und drei Monate, ebenfalls auf Bewährung. Nur der Älteste von ihnen, der 20-jährige Haupttäter, sitzt für fünf Jahre in Jugendhaft.

Ein Vormittag an der Lußhardtschule. Von seinem Fenster im ersten Stock hat Direktor Peter Scholl seine Schützlinge auf dem Hof der Grund- und Hauptschule gut im Blick. Eigentlich. "Einige erreicht man halt doch nicht", sagt er nachdenklich. Dabei war zum Zeitpunkt der Tat nur eines der beteiligten Mädchen hier Schülerin. Noch keine 14. Strafunmündig. Inzwischen ist noch einer der verurteilten Jungen auf die Lußhardtschule gewechselt.

Am Anfang sei es schwer gewesen, den Jungen und das Mädchen wieder in den Schulverband zu integrieren, die ersten großen Pausen verbrachten die beiden nicht mit den Anderen auf dem Hof, sondern in den geschützten Räumen der Direktion. "Denen sind sie hinterher gerannt und haben 'Mörder' geschrien", erinnert sich Scholl.

Nicht nur für die Mitschüler und früheren Freunde, auch für die Lehrer war der Umgang mit den tatbeteiligten Jungen und Mädchen alles andere als einfach. "Ich konnte lange nicht normal mit der Sache umgehen", sagt die Lehrerin einer Achtklässlerin, die an dem verhängnisvollen Oktoberabend vor einem Jahr mit im Neulußheimer Wald war. Nie hätte sie geglaubt, dass das Mädchen in so eine Tat verwickelt sein könnte. Bis heute ist der Lehrerin unbegreiflich, wie geschehen konnte, was geschehen ist. Trotzdem ist ein Jahr nach dem Tod von Johann Babies wieder so etwas wie Alltag an der Lußhardtschule eingekehrt. Vergessen ist etwas Wichtiges, das weiß Peter Scholl.

Vergessen, das ist ein Wort, das für Werner S. (Name von der Redaktion geändert) nicht greifbar ist. Der nahe Verwandte eines der Tatbeteiligten kann bis heute nicht nachvollziehen, was damals "in den Jungen gefahren ist". Ein ruhiger Mensch sei der Jugendliche immer gewesen, besonnen, freundlich. "Man kann das nicht begreifen", sagt Werner S., er wiederholt es immer wieder. Völlig überrascht war er, als vor einem Jahr eines Abends die Polizei vor der Haustür stand. "Der Junge war zum Abendessen gekommen, war normal wie immer", erinnert sich S. Nur ein wenig unruhig sei er gewesen. "Ich weiß noch, wie er da stand, hinter dem Streifenwagen, bevor er verhört wurde."

Was genau an dem Abend im Neulußheimer Wald geschah, an dem Johann Babies erst seine Würde und später sein Leben verlor, erfährt die Familie erst viel später aus den Prozess-Akten. Seither ist nichts mehr wie es war. Sicher, der Junge gehört immer noch zur Familie, das lässt man ihn auch spüren. Aber über das, was passiert ist, spricht man nicht.

Im Café im Ort kennt man die Jungen und Mädchen, die den "Penner Paul" geschlagen haben, im Sommer holen sie hier ihr Eis, seit eh und je. "Ganz nette, normale Kinder", beschreibt eine Neulußheimerin die Halbwüchsigen, die Johann Babies von ganz anderer Seite kennen lernen musste. Was in den "Kindern" vorgegangen sein muss, als sie stundenlang auf den Mann einprügelten, kann sich die Frau bis heute nicht vorstellen. "Ich habe selbst eine 13-jährige Enkelin", sagt sie. Dass sie die tatbeteiligten Jugendlichen komisch anschaut, kommt für sie nicht in Frage. "Was soll das bringen?", fragt sich die Frau.

Das scheinen nicht alle in Neulußheim so zu sehen. "Vor allem Alteingesessene schneiden uns manchmal", schildert Werner S. das Leben der Familie ein Jahr nach der Tat. "Die Leute gehen unterschiedlich mit der Sache um", beobachtet auch Bürgermeister Gerhard Greiner: "Einige wollen am liebsten Gras über die Sache wachsen lassen". Nur darin, dass so etwas nie hätte passieren dürfen, sind sich alle einig: "Die bereuen das bis auf den Tod", sagt Melanie über diejenigen unter den Tätern, zu denen sie Kontakt hat. "Der eine fängt heute noch jedes Mal an zu heulen, wenn man ihn drauf anspricht", schildert die 14-Jährige.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht auf dem Gedenkstein, den Bürgermeister Greiner heute im Neulußheimer Wald aufstellen wird. Zur Erinnerung an Johann Babies und daran, dass genau diese Würde vor einem Jahr auf unvorstellbare Weise gebrochen wurde

Tatjana Schneider am 15.10.2004 in der Schwetzinger Zeitung

Was ist Erziehung und Anstand?

Erziehung und Anstand kann nicht mit Taschengeld, modernstem Computer, teuersten Bikes oder einem nagelneuen Motorroller ersetzt werden. Erziehung und Anstand muss von den Eltern vorgelebt und gezeigt werden.
Man sollte sich als Eltern und Großeltern Zeit dafür nehmen, denn Kinder reagieren und sagen das nach, was sie hören und sehen. Wenn sie Streit erleben, wenn sie sehen, dass der Lautere und Stärkere gewinnt, werden sie dieses umsetzen und genau so ausüben, da sie meinen, im Recht zu sein. Sie leben nach dem Motto:“ Frechheit und Gewalt“ siegt, weil sie es nicht anders kennen gelernt haben. Wenn Eltern ihren Kindern einbläuen, du musst und du darfst dir nichts gefallen lassen, ist das ein Erziehungsdefizit und sie machen es sich dadurch sehr leicht.
Wenn Jugendliche heute Stress mit Lehrer, Nachbar, Polizei oder älteren Menschen haben verstecken sie sich plötzlich hinter dem Jugendschutzgesetz und dem Rockzipfel der Mutti, denn sie wissen, dass der Papa sie da wieder rausholt, wahrscheinlich mit den Worten: „es ist doch noch ein Kind“.
Die Jugendlichen wollen in der Gemeinschaft als kleiner Erwachsener anerkannt werden, doch wenn sie etwas angestellt haben, wenn es also zur Sache oder den Richter geht, als Kind gesehen und als Kind bestraft.
Die Jugend will nicht wissen, dass man nicht nur Rechte sondern auch Pflichten hat in dem Staat, in dem Land und in der Gemeinde ( kommt übrigens von Gemeinschaft) in der man lebt und wohnt.
Wenn Verteidiger und Anwälte darauf plädieren, dass die Allgemeinheit schuldig gesprochen wird dafür, dass sie nicht das Recht hat gegen rücksichtslose Jugendliche zu opponieren und handeln, dann frag ich mich und viele Mitmenschen auch, warum man das Wort „ Zivilcourage“ nicht aus unserem Wortschatz streicht. Denn wer Courage zeigt, dem wird oder kann noch „Selbstjustiz“ angehängt werden und so landet man schneller vor einem Richter als derjenige, der etwas angestellt hat.
Wenn man heutzutage gegen Jugendliche agiert, versucht mit guten Worten etwas zu erreichen, wird man beschimpft, bekommt einen Stinkefinger gezeigt und wird von deren Eltern noch dumm angemacht und bedroht. Sind das die heutigen Zeichen und Ergebnisse einer guten Erziehung ???
Auf jeder Baustelle hängt ein großes Schild auf dem steht:
„ELTERN HAFTEN FÜR IHRE KINDER“.
Doch wenn diese Kinder ein gewisses Alter von 1-...? Jahre noch nicht überschritten haben, sind sie strafunmündig und das wissen leider viele. Sie werden von unserem Gesetz geschützt oftmals mehr als ihr Opfer. Kinder sollten lernen sich mit Probleme verbal auseinander zusetzen, zu reden und nicht mit Gewalt und Rücksichtslosigkeiten den „Anderen“ gegenüber handeln. Denn Gewalt erzeugt Gegengewalt und es steigert sich hoch bis hin zum Hass. Was dadurch alles geschehen kann, haben wir unlängst und hautnah in unserer kleinen und verschlafenen Gemeinde erlebt. Wir, die Ewachsenen waren alle sehr betroffen, schockiert und entsetzt bei uns vor der Haustür im 21sten Jahrhundert, doch schalten wir die Nachrichten ein, kommt es öfters zu solchen Taten, nicht nur hier in Neulussheim oder Deutschland, nein weltweit gibt es diese Angriffe von Jugendlichen. das soll und darf keine Entschuldigung, dass es halt so ist. Es ist kein guter Weg den unsere Kinder, unsere Jugendliche und später die Erwachsene da gehen. Extrem egoistisch erzogen, mit den Ellbogen die Schwächeren wegschupsen, die Karriere-Leiter hoch und über Leichen gehen mit nur einem Ziel Hauptsache mir geht es gut, was der „Andere“ macht geht mir am A..... vorbei.
Diese Erkenntnis, das verstehen was Recht und Unrecht, was Lüge und Wahrheit, was Stärke und Schwäche, was Anerkennung und Respekt, was ein Ehrenwort bedeutet und was Eigentum des Anderen ist, dies gilt zu verstehen.
Wenn diese Zeilen von den Eltern und den Jugendlichen-Kindern gemeinsam gelesen werden, man sich gemeinsam damit auseinander setzt, darüber diskutiert und sich Gedanken macht, warum hat der Schreiber diese harte Kritik an die, bzw. unsere Jugend geschrieben, wenn das geschieht hab ich das erreicht, was ich eigentlich wollte das miteinander reden und auch das zuhören. Wenn das geschieht, dass man den Computer , die Play-Station und den Fernseher einmal ausschaltet und sich mit meinem Text auseinandersetzt, dann hab ich diese Zeilen nicht umsonst in das Gästebuch unserer Gemeinde gehämmert. Danke wenn Ihr es macht.
Ein Spruch noch:
„Es ist immer leichter die Schuld dem "Anderen" zu geben, als bei "sich selbst" anfangen zu suchen.
Didier Hugeno geschrieben im Oktober 2004

Dieter Scheck am 4.10.2004 im Gästebuch von www.neulussheim.de
Didier.Hugeno@gmx.de

 

 

 

Berliner Obdachlosenzeitung berichtet

In der Ausgabe 14/2004 berichtet der "Straßenfeger", eine Berliner Obdachlosenzeitung, über den Fall Johann Babies.

Straßenfeger - Berliner Obdachlosenzeitung
www.strassenfeger-berlin.de
redaktion@strassenfeger-berlin.de , c/o Thomas Lemmer
26.7.2004

 

Wir kannten Hennes 10 Jahre!

Wir kennen Hennes seinen Mörder! Wir kennen die Eltern!
Wir kennen Neulussheim, denn wir haben dort 1o Jahre gewohnt. Wir waren selbst obdachlos.
Durch Hilfe vom Ev. Pfarramt Hockenheim sowie Hilfe von Bürgermeister Gerhard Greiner u. seinen grossartigen Mitarbeitern im Rathaus, haben wir es nach einem langen schweren Weg wieder ins "Normale " Leben geschafft.
Neulussheim hat eine Anzahl an Bewohner, die uns immer mit schrägen Blicken oder spitzen Bemerkungen bedacht haben(z. B. Mitarbeiter im Bauhof).
Nach unserer Wiedereingliederung haben wir uns immer noch mit unseren obdachlosen Kumpels getroffen u. waren Freitags in der Wärmestube. Oft sind wir zur Hütte raus zum Hennes gefahren. Ich habe Salat gemacht u. wir haben dort gegrillt. Hennes war oft bei uns auf dem Häckselplatz. Zur Karnevalszeit kam er zu uns den Karnelvalsumzug im Fernseh anzusehen. Er wünschte sich dann Kohlrouladen, später rief er seine Schwester von uns an. Jeweils am 19.05. trafen wir uns alle bei PLUS seinen Geburtstag feiern - meistens habe ich dann dort seine Haare u. seinen Bart geschnitten.
Ich habe Ihn oft gefragt, ob er keine Angst hat allein Platte zumachen. Er verneinte. Ich hatte immer Angst u. habe gesagt, wenn mich einer schlägt, dann richtig, so das ich nicht mehr aufwache.
Hennes bleibt uns in ewiger Erinnerung.
Einen traurigen Gruss an alle Mitarbeiter des Rathauses Neulussheim ganz besonders an Herr Werner Kuppinger u. Herr Naber sowie an
Mobbel, Lissy, Bauer Hans, Fam. Lauer, Fam. Gottfried u. Helmut Grigst.
Gästebuch von www.neulussheim.de vom 13.7.2004

 

Jugendliche Täter - in 20 Jahren selbst Arbeitslose?

Hallo, dass, was Herrn Johann Babies angetan wurde, hätte in jedem Ort zwischen Rügen und Garmisch passieren können. Dafür einen ganzen Ort verantwortlich zu machen, ist absurd.
Viel wichtiger wäre es, die Ursachen für so viel menschliche Kälte zu bekämpfen. Und das kann jede/r von uns. Beim nächsten Treffen eines Obdachlosen nicht gleich die Strassenseite wechseln sondern vielleicht mal das Gespräch suchen und vielleicht auch mal ein Essen spendieren.
Ich persönlich mache das seit Jahren so und habe, bis auf wenige Ausnahmen, nur positive Erfahrungen gemacht.
Oft stecken schlimme Schicksale hinter der Obdachlosigkeit, teilweise vollkommen unverschuldet. Und trotzdem wählen diese Menschen nicht den Suizid, sondern wollen leben und versuchen das Beste daraus zu machen. RESPEKT!.
Es gibt Organisationen wie z. B. "Die Tafel", die in vielen Städten aktiv ist und Lücken abdeckt, die der Staat eben offen läßt. Auch dort ist Hilfe oder Geld immer willkommen und hilft den Menschen, die ansonsten keiner sehen mag.
Was die jugendlichen Täter betrifft bin ich froh, kein Richter zu sein. Ich denke, vieles bestraft das Leben früher oder später von ganz alleine...

Und die Möglichkeit, dass auch unter den heute jugendlichen Tätern in 20 oder 30 Jahren selbst Obdachlose sind, ist in der heutigen Zeit nichtmal so abwegig...

Ein trauriger Gruß, Andreas Klein, sableler@web.de , 12.7.2004
aus dem Gästebuch von www.neulussheim.de

 

die story: War doch nur ein Obdachloser - Wenn Kinder töten

Am 16. Oktober letzten Jahres stirbt der 54-jährige Johann Babies einen grausamen Tod. Der Obdachlose wird von Kindern und Jugendlichen zusammengetreten, gequält, gedemütigt, bis er nach zwei Tagen und Nächten in einem Waldstück wie ein Tier verendet. Die acht Täter der 6.000-Seelen-Gemeinde Neulussheim gehen währenddessen weiter in die Schule und prahlen dort sogar damit, dass sie den Obdachlosen erschlagen haben. Zwei Tage nach der Tat verabreden sie sich am Tatort, "um den Penner zu töten, falls er noch leben sollte". Aber Johann Babies ist tot. Gestorben an den Schlägen und Tritten junger Menschen aus gut-bürgerlichen Elternhäusern.

Das Dorf ist zerrissen wegen der Ereignisse im letzten Oktober. Die einen fordern eine harte Bestrafung, die anderen sagen, man könne die Kinder doch nicht für alle Zeit brandmarken. Ratlosigkeit herrscht: Was bringt Kinder dazu, eine solche monströse Tat zu begehen? Gibt es eine Strafe für sie und wie kann diese aussehen? Darüber wird das Gericht nun entscheiden. Was wiegt schwerer, der Tod eines Menschen oder die Zukunft von zwölf - bis neunzehnjährigen Jugendlichen? 

Sendetermine in der ARD:                               
Freitag, 30.07.04, 20:15 Uhr
Samstag, 31.07.2004, 7:05 Uhr
Samstag, 31.07.2004, 14:05 Uhr

www.ard-digital.de vom 8.7.2004


 

Mit Todesfolge...

Sie haben einen sozial randständigen Menschen stundenlang gequält und damit seinen Tod herbeigeführt. Über die jugendlichen Täter von Neulußheim, die mit ihrer herzlosen Tat auch das schlechte Gewissen der Erwachsenenwelt getroffen haben, ist Recht gesprochen worden. Dass dies nicht gleichbedeutend ist mit Gerechtigkeit, deutet schon das Strafmaß an. Und auch die Tatsache, dass das Gericht trotz der sadistischen Umstände der Tatausführung auf Körperverletzung mit Todesfolge erkannte. Zusammen mit dem Jugendstrafrecht erlaubt das - bis auf den Hauptbelasteten, der im doppelten Sinne als der "Dumme" hingestellt wurde - für die Schüler ein Strafmaß der "zweiten Chance". Man wollte an einem strafrechtlichen Exempel vorbeikommen.

Das ist, nicht zuletzt durch ein offenbar abgestimmtes Aussage-Verhalten, gelungen. Die Kinder "aus unserer Mitte", wie ein um Schadens- und Schandebegrenzung bemühter Bürgermeister zu betonen nicht müde wird, haben allerdings zur Aufarbeitung des Verbrechens bisher kaum beigetragen, wie sogar der Seelsorger am Ort einräumen muss. Vielleicht doch, weil Johann Babies "nur" ein "Penner" war? Geht es in Neulußheim ums Verzeihen oder ums Vergessen? Die meisten Fragen bleiben leider offen - solche zur Tat und viele, die sich an die Erwachsenen richten. Sicher ist aber: für die jungen Täter wie auch ihre Eltern endet die Strafsache Babies nicht mit diesem eleganten Urteil.

Manfred Fritz auf www.rnz.de vom 6.7.2004


 

Keiner hätte es alleine gemacht - Urteilsverkündung

Prozess um gewaltsamen Tod eines Obdachlosen: Die Motive der jungen Täter bleiben weiter im Dunkeln

Mannheim. Im Prozess um den gewaltsamen Tod eines Wohnsitzlosen hat das Mannheimer Landgericht am Montag die Urteile verkündet. Der 20-jährige Haupttäter muss eine Jugendstrafe von fünf Jahren verbüßen. Drei 15-jährige wurden zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren verurteilt und müssen an einem sozialen Training teilnehmen. Das Landgericht befand die vier der Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig. Ein 14-jähriger Mitangeklagter erhielt eine Bewährungsstrafe von 15 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung.

"Gott, verzeih Euch." Das waren die letzten Worte des Opfers Johann Babies zu den Tätern. Die fünf Jungen hatten den 54-Jährigen im Oktober 2003 vor seiner Waldhütte in Neulußheim schwer misshandelt. Über Stunden hinweg traktierten sie ihn mit Fußtritten und schlugen mit Knüppeln auf den schreienden und sich erbrechenden Mann ein. Ein Holzpfahl brach durch die Wucht entzwei. "Das Opfer war kein Mensch mehr, sondern eine Sache, auf die man eintreten kann", zeigte sich Verteidiger Manfred Zipper entsetzt. Sein heute 20-Jähriger Mandant tat sich offenbar besonders grausam hervor. So hatte sich der Zweimeter-Mann mit seinem vollen Gewicht von mehr als 130 Kilogramm

Das Opfer "aus Langeweile verkloppt"
auf den Brustkorb des "Waldmenschen" gestellt. Das Opfer erlitt mehrere Knochen- und Rippenbrüche sowie Einblutungen am ganzen Körper. Ein Gutachter verglich die Verletzungen mit denen eines Verkehrsunfalls. Die Angeklagten hätten voraussehen können, dass der Mann an den Folgen der Verletzungen versterben werde, so die Jugendkammer. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", mahnte der Vorsitzende Richter Mattias Schwab.
Auch in dem elftägigen Prozess konnte letztlich nicht geklärt werden, warum die Täter Johann Babies quälten und dann seinem Schicksal überließen. Die Jungen hätten den Mann "aus Langeweile verkloppt", vermutet Verteidiger Manfred Zipper. "Wir wollten die Zeit totschlagen", soll einer von ihnen bei Vernehmungen gesagt haben.

Ein Motiv hatte allenfalls der Älteste. Im Sommer 2003 wurde er von dem Obdachlosen mit einer Schaufel geschlagen, der sich wohl durch provozierende Jugendliche gestört fühlte. Aber erst einige Wochen später rückte der junge Mann mit seinen Kumpels an, um "Penner-Paul", wie sie ihn nannten, zu bestrafen. Zu mehreren schlugen sie auf den 54-Jährigen ein. Das Opfer machte ein Friedensangebot, entschuldigte sich und gab ein Bier aus. Zwei Tage später verlangte der damals 19-Jährige von dem Wohnsitzlosen eine vorformulierte Entschuldigung nachzusprechen. Als dieser sich weigerte, fielen die fünf Jungen brutal über ihn her. Zwischendurch legten sie eine Zigarettenpause ein und unterhielten sich mit dem Opfer.

Doch warum hat sich keiner von ihnen dem Gewaltexzess entzogen oder Hilfe geholt? Auch mehrere strafunmündige Kinder sahen zu und unternahmen nichts. Anwälte sprachen von "gruppendynamischen Prozessen." Die Angeklagten seien in eine Art "Blutrausch" geraten, glaubt Verteidiger Zipper. Eines scheint klar: "Alleine hätte es niemand gemacht", ist sich Anwalt Maximilian Endler mit seinen Kollegen einig. Und: "Sie haben geprügelt, weil sie nicht außerhalb der Gruppe stehen wollten", glaubt Endler. Einen Tag später schauten einige der Täter nach Johann Babies, doch da war er bereits tot.

Die Anwälte der vier Jugendlichen zeigten sich zufrieden mit den Urteilen. Nicht jedoch Verteidiger Zipper, dessen Mandant als einziger eine Haftstrafe verbüßen muss. "Er fühlt sich ungerecht behandelt und glaubt, die anderen hätten die gleiche Strafe verdient", berichtete Zipper, der seinen Mandanten als "Riesenbaby" bezeichnete. Er erwägt nun, das Urteil anzufechten. Die Staatsanwaltschaft habe "schlecht ermittelt", die vier Mitangeklagten hätten sich vor ihrer Aussage miteinander "abgesprochen", kritisierte der Verteidiger. So hätten die Jugendlichen vor Gericht gleichförmige Aussagen und identische Formulierungen verwendet. Staatsanwalt Lars Oltrogge hatte sechseinhalb Jahre für den Ältesten gefordert - wegen Totschlags. Ein Tötungsvorsatz konnte dem Heranwachsenden jedoch nicht nachgewiesen werden. Gutachter attestierten allen Angeklagten eine volle Schuldfähigkeit. Der

"Es sind Kinder aus unserer Mitte"
heute 20-Jährige sei jedoch in seiner Entwicklung zurückgeblieben und somit strafrechtlich einem Jugendlichen gleichzustellen. Dem hat sich das Gericht angeschlossen. Auch am letzten Tag blieb die Öffentlichkeit wegen des Alters der Beschuldigten von dem Prozess ausgeschlossen.

Neulußheims Bürgermeister Gerhard Greiner will die Täter "nicht ausgrenzen, sondern aushalten". Und: Man müsse ihnen verzeihen und eine zweite Chance geben. "Es sind Kinder aus unserer Mitte", gibt er zu bedenken. Sie hätten "nur das vollzogen, was jeden Abend an den Stammtischen geredet wird." Ein Runder Tisch wurde ins Leben gerufen, an dem sich Erzieher, Schulleiter und Sozialarbeiter sowie die Polizei und die Kirche beteiligten. Die Bilanz fast neun Monate nach dem Tod des Wohnsitzlosen ist ernüchternd: "Wir haben noch keine konkreten Erfolge", sagt der evangelische Pfarrer Uwe Sulger, der die drei 15-jährigen Schläger aus dem Konfirmandenunterricht kennt. Dass der gewaltsame Tod des 54 Jahre alten Mannes mit seiner Obdachlosigkeit zu tun hat, dessen ist er sich sicher. Der Heidelberger Kriminologe Dieter Dölling hat bei der Suche nach Antworten auf das brutale Verhalten der Kinder und Jugendlichen zwei Erklärungsansätze. "Der Einfluss der Jugendlichen aufeinander ist sehr stark - stärker als der der Eltern", erklärt der Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Heidelberg.

Die Cliquen bildeten Führungspersönlichkeiten heraus, denen wegen des Gruppenzugehörigkeitsgefühls nachgeahmt werde. Da der 20 Jahre alte Haupttäter den anderen intellektuell unterlegen war, habe er sich durch sein gewalttätiges Handeln offenbar produzieren wollen, analysiert Dölling. Diese verhängnisvolle Wechselseitigkeit könne die Tat ausgelöst haben.
Die verwahrloste Hütte, in der Johann Babies hauste, wurde inzwischen abgerissen. An deren Stelle soll ein Gedenkstein an den "Waldmenschen" erinnern, der in seiner Heimatstadt Siegburg beigesetzt wurde

Ulrich Willenberg in der Rhein-Neckar-Zeitung am 6.7.2004


 

 

Urteilsverkündung 263 Tage nach der Tat unter Ausschluß der Öffentlichkeit

"Würde des Menschen ist unantastbar" deutlich betont
Eindringliche Mahnungen des Richters bei der gestrigen Urteilsverkündigung der Jugendkammer des Mannheimer Landgerichts

Mannheim/Neulußheim. Genau 263 Tage nach der Tat im Wald bei Neulußheim, als der obdachlose Johann Babies erschlagen wurde, sprach jetzt am gestrigen Montag das Gericht sein Urteil. Auch die Urteilsverkündung fand, wie die gesamte Verhandlung, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Wer die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und die Plädoyers die Verteidiger, soweit sie an die Öffentlichkeit kamen, verfolgt hatte, konnte kaum von dem gestrigen Urteil und dem Strafmaß überrascht sein.

Für drei Jugendliche im Alter von jetzt 15 Jahren hatte sowohl der Staatsanwalt als auch die Verteidiger jeweils zwei jahre mit Bewährung gefordert. Das Gericht folgte diesen Anträgen. Ein weiterer Jugendlicher wurde zu 15 Monaten auf Bewährung verurteilt. Er hatte den Tatort wesentlich früher als die vier anderen verlassen.

Für den 20-jährigen Heranwachsenden hatte der Staatsanwalt eine Strafe von sechs Jahren und sechs Monaten gefordert, der Verteidiger hatte auf "unter fünf Jahre" plädiert. Das Gericht entschied gestern auf fünf Jahre Jugendstrafe.

Alle fünf Täter wurden nicht wegen Totschlags, sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Die vier Jugendlichen, die Bewährungsstrafen erhielten, bekamen auch die Weisung, bereits begonnene Therapien fortzusetzen. Sie müssen sich einem sozialen Trainingskurs unterziehen und sich der Aufsicht und der Leitung eines Bewährungshelfers unterstellen. Außerdem müssen die vier Jugendlichen gemeinnützige Arbeit ableisten, diese dürften bei 200 bis 300 Stunden je Jugendlichem liegen.

Rechnet man davon einmal einen Mittelwert von 250 Stunden und legt zum Vergleich einen achtstündigen Arbeitstag zugrunde, so ergibt dies genau 31 Arbeitstage. Die Bewährungsstrafe für die vier Jugendlichen bedeutet, dass sie weiterhin die Schule besuchen können.

Der 20-Jährige wurde zu einer Haftstrafe von 60 Monaten verurteilt. Bei dieser Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht kann eine Freilassung bereits nach der Verbüßung von einem Drittel der Strafe möglich sein. Dies wäre also nach einer Haftzeit von 20 Monaten. Angerechnet werden dabei die zehn Monate der Untersuchungshaft. Wie sein Anwalt mitteilte, will der Heranwachsende im Jugendgefängnis eine Ausbildung und auch den Führerschein machen.

Noch nicht entschieden sei, so der eher medienoffene Verteidiger des 20-Jährigen, ob gegebenenfalls Berufung eingelegt werde. Der Anwalt des 20-Jährigen hatte bereits im Verlaufe des Prozesses mehrfach darauf hingewiesen, dass die Schuldverteilung immer mehr zu Lasten seines Mandanten gehe, der in die Rolle des "Rädelsführers" gedrängt werde.

Bestimmend war ohne Zweifel in dem Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit, dass die Verteidiger der einzelnen Jugendlichen konsequent die Schuld immer in größerem Maße bei den anderen Tatbeteiligten und in erster Linie dann bei dem Heranwachsenden sahen.

Dies brachte auch die Konsequenz, dass die Gruppendynamik verstärkt in den Mittelpunkt gestellt wurde, der sich die die Jugendlichen laut Angaben ihrer Anwälte, nicht hätten entziehen können.

Die 7. Große Strafkammer, die Jugendkammer des Landgerichts Mannheim, ist nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung jedenfalls überzeugt, dass die Angeklagten den in einer alten steinernen Waldhütte lebenden Johann Babies so schwer misshandelt hatten, dass sie voraussehen konnten, dass er an den Folgen der Verletzungen sterben würde.

Der Vorsitzende Richter hatte, wie bekannt wurde, bei seiner Urteilsverkündung auch Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar" in den Mittelpunkt gestellt. Dies solle den Verurteilten immer im Gedächtnis sein und bleiben. Auch sei die Erinnerung an die Tat und das Bewusstsein der Schuld, die die Jugendlichen und der Heranwachsende auf sich geladen hätten, ein unauslöschlicher Teil ihrer Strafe. ba


 

Obdachlosen-Prozess: Offene fragen nach Gerichtsurteil

Auch nach dem Urteil der Jugendkammer liegt das Motiv für den Mord an einem Obdachlosen weiterhin im Dunkeln. Eine Gruppe Jugendlicher hatte den Mann auf grausamste Weise getötet.

Achteinhalb Monate nach dem grausigen Tod eines Obdachlosen im baden-württembergischen Neulußheim sind die Täter am Montag bestraft worden. Nach dem Urteil der Jugendkammer des Mannheimer Landgerichts gegen fünf 14- bis 20-Jährige wird jedoch weiter über die Motive für ihr brutales Vorgehen gerätselt. Für fünf Jahre muss der 20 Jahre alte Haupttäter wegen Körperverletzung mit Todesfolge ins Gefängnis. Der Rest der minderjährigen Gruppe erhielt Bewährungsstrafen zwischen 15 Monaten und zwei Jahren.

Die Unbarmherzigkeit und Gewaltbereitschaft gegen einen am Rande der Gesellschaft stehenden Menschen, vor allem aber das Alter der Täter hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Die Angaben über die Cliquengröße bei der Bluttat in dem Waldgebiet in der Nähe der kleinen Gemeinde Neulußheim im Rhein-Neckar-Kreis schwanken zwischen acht und elf. Als sicher gilt jedoch, dass auch zwei zwölfjährige Mädchen an der über zwei Stunden dauernden Prügel- und Tretattacke nach dem Streit um eine Waldhütte dabei waren.

Mit ungläubigem Entsetzen hatten die 6300 Einwohner zählende Ortschaft die Tat der Jugendlichen im Herbst vergangenen Jahres registriert und versucht, zu reagieren. Bürgermeister Gerhard Greiner (SPD) rief dazu auf, die Gruppe - bis auf den 20-Jährigen Realschüler und Gymnasiasten - nicht zu verstoßen und die Familien nicht gesellschaftlich zu ächten. Ein Runder Tisch wurde ins Leben gerufen, an dem sich Erzieher, Schulleiter und Sozialarbeiter sowie die Polizei und die Kirche beteiligten. Die Bilanz fast neun Monate nach dem Tod des Wohnsitzlosen ist ernüchternd: "Wir haben noch keine konkreten Erfolge", sagt der evangelische Pfarrer Uwe Sulger, der die drei 15-jährigen Schläger aus dem Konfirmandenunterricht kennt. "Keine Monster" seien die Jungen, berichtet der Theologe. Dass der gewaltsame Tod des 54 Jahre alten Mannes mit seiner Obdachlosigkeit zu tun hat, dessen ist er sich jedoch auch sicher.

Der Heidelberger Kriminologe Dieter Dölling hat bei der Suche nach Antworten auf das brutale Verhalten der Kinder und Jugendlichen zwei Erklärungsansätze. "Der Einfluss der Jugendlichen aufeinander ist sehr stark - stärker als der der Eltern", erklärt der Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Heidelberg. Die Cliquen bildeten Führungspersönlichkeiten heraus, denen wegen des Gruppenzugehörigkeitsgefühls nachgeahmt werde. Da der 20 Jahre alte Haupttäter den anderen intellektuell unterlegen war, habe er sich durch sein gewalttätiges Handeln offenbar produzieren wollen, analysiert Dölling. Diese verhängnisvolle Wechselseitigkeit könne die Tat ausgelöst haben. ....

Alles von Bernd Glebe am 5.7.2004 auf www.stern.de



 

 

 

 

Am 9.6.2004 Prozessauftakt im Reilinger Obdachlosen-Mord

Am 9.6.2004 Prozessauftakt gegen fünf Kinder und Jugendliche wegen Mord an Obdachlosen - Eine Gemeinde versucht das schreckliche Verbrechen aufzuarbeiten

Neulußheim/Mannheim. (rnz) Der brutale Tod des Obdachlosen Johann B. in der Nähe der kleinen Ortschaft Neulußheim schockte im vergangenen Herbst die Region. Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren sowie ein 19-Jähriger haben im Oktober mehrere Stunden lang mit Holzprügeln auf den Obdachlosen eingeschlagen. Der Mann starb an der Vielzahl der Verletzungen.

Ab dem morgigen Mittwoch müssen sich der jetzt 20-jährige mutmaßliche Haupttäter und drei inzwischen 15 Jahre alte Jungen wegen gemeinschaftlichen Totschlags vor dem Mannheimer Landgericht verantworten. Ein 14-Jähriger ist wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt.

Wir sprachen vor Prozessbeginn mit Neulußheims Bürgermeister Gerhard Greiner (Foto: Lenhardt), der nach der schrecklichen Tat einen "Runden Tisch" mit Verantwortlichen aus vielen gesellschaftlichen Bereichen ins Leben gerufen hat, um zu diskutieren, wie auf jugendliche Gewalt reagiert werden kann und wie eine solche Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen eingedämmt werden kann

Herr Greiner, am 15. Oktober vergangenen Jahres haben Kinder und Jugendliche in Neulußheim einen Obdachlosen totgeschlagen. Sie haben als Bürgermeister eine Initiative gegen Jugendgewalt ins Leben gerufen, die anfänglich große Beachtung gefunden hat. Jetzt war längere Zeit nichts mehr zu hören. Wie ist der Stand der Dinge?

Wir haben in einer - übrigens sehr kompetent besetzten Lenkungsgruppe - zunächst genau hingeschaut und das Tatgeschehen, die näheren Umstände, Wurzeln und Strukturen auch im gesellschaftlichen Umfeld analysiert. Gerade weil wir so genau hingeschaut haben, hat es auch etwas länger gedauert als ursprünglich gedacht. Wir haben jetzt in diesen Tagen "Arbeitsaufträge" für drei Arbeitskreise (Kindergärten, Schule und offene Jugendarbeit) formuliert. So haben wir jetzt erste Ansätze für unsere Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Kindertagesstätten, Schule, Vereinen und offener Jugendarbeit, für die Arbeit mit Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen, Lehrern und Eltern ausgearbeitet, die wir immer weiter entwickeln werden.

Welche Ziele hat die Initiative?
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Wurzeln und Strukturen aufzudecken, die ein derart nenschenverachtendes Handeln ermöglichten oder begünstigten. Wir wollen auch Maßnahmen finden, die geeignet sind, solch einer Brutalität wirksam entgegenzutreten. Wir wollen eine nachhaltige Prävention initiieren und im Bewusstsein der Leute verankern, dass dies eine Aufgabe aller ist. Und wir wollen einen sorgsamen, weitestgehend gewaltfreien und auch verantwortlichen Umgang unter Kindern und Jugendlichen fördern. Wir wissen und wollen bewusst darauf hinweisen, dass wir dem Opfer, den Tatbeteiligten und ihren Familien nicht gerecht werden, wenn wir die Tat unter den Teppich kehren.

Wie wollen sie diese Ziele erreichen?
Wir werden Aktionen mit Kindern und Jugendlichen starten, in denen wir deren soziale und personale Kompetenz durch Vermittlung von Werten und Normen, vereinbarte (Spiel)Regeln und gesetzte Grenzen entwickeln und fördern helfen. Wir werden Kooperationen und Erziehungspartnerschaften von Eltern und Erziehern fördern und wir werden Kindern und Jugendlichen adäquate Verantwortung anbieten und übertragen. Wir arbeiten dabei mit verbindlichen Leitlinien in der Arbeit einzelner Einrichtungen, entwickeln (mit externer Unterstützung) gezielt Projekte und Veranstaltungen und bieten, für Eltern und Erzieher/innen, Kurse und Seminare an.

Wie ist die Resonanz in Neulußheim, finden sich genug Mitstreiter?
Die Resonanz unter verantwortlich Handelnden ist sehr groß. Wie sich das mit den jetzt angestoßenen Projekten entwickelt, bleibt abzuwarten. Wir sind aber sehr sicher, dass Eltern die Hilfen annehmen und wir uns mit der Initiative auch bei Kindern und Jugendlichen durchsetzen werden. Das wird sicher seine Zeit brauchen, dann aber umso deutlicher erkennbar werden.

Gelegentlich ist die Kritik zu hören, dass Sie sich zu sehr auf die Hilfe und Unterstützung der Tatverdächtigen konzentrieren und dabei aus den Augen verlieren, dass die brutale Tat Konsequenzen nach sich ziehen muss. Was antworten Sie diesen Kritikern?
Über schuldig Gewordene zu richten und ihr Handeln angemessen zu bestrafen ist Aufgabe und Sache der Rechtsprechung. Das Landgericht Mannheim wird dies ab Mittwoch sehr gründlich tun, da bin ich mir absolut sicher. Wir von der Neulußheimer Initiative sehen unsere Aufgabe woanders, wir wollen uns dem gesellschaftlichen Aspekt der Tat widmen. Wir wollen Konsequenzen ziehen, indem wir uns dem schrecklichen Geschehen stellen und es für alle Bereiche unserer Ortsgemeinschaft, aufarbeiten. Eine Pseudo-Problemlösung - durch Ausgrenzung der Täter oder nur oberflächliche Reflexion des Geschehens - lassen wir nicht zu. Wir wollen es mit den in unserer Mitte schuldig Gewordenen aushalten und für uns (und vielleicht auch beispielhaft für andere) zu echten Veränderungen und damit neuen Orientierungen kommen.

RNZ vom 8.6.2004


 

 

Kinder aus unserer Mitte

Neulußheim/Leimen. Er will nichts schönreden, nichts entschuldigen und schon gar nichts bagatellisieren. Wenn der Bürgermeister von Neulußheim, Gerhard Greiner (Foto) gestern bei der Mitgliederversammlung Kriminalprävention Rhein-Neckar an den schrecklichen Obdachlosenmord vom 15. Oktober 2003 erinnert, an dem Kinder und Jugendliche aus Neulußheim maßgeblich beteiligt waren, so schildert er detailliert, in welch brutaler Art und Weise die Jugendlichen ihr Opfer traktiert hatten. Nichtsdestoweniger gibt es für ihn und seine Gemeinde nur einen Weg, die schreckliche Tat von damals zu verarbeiten: nämlich gemeinsam ein Miteinander zu finden, die Täter zu ertragen, ihnen zu vergeben, zu
verzeihen, ja, eine zweite Chance zu geben.

Greiner selbst sah und sieht sich hier in der Pflicht gemeinsam mit Lehrern; Pfarrern, Pädagogen und Psychologen sowie der Polizei der Bevölkerung Orientierung zu geben. Denn "Strafe muss zwar sein", aber Hilfe sei wichtiger als Ausgrenzung. Die Täter "gehören zu uns, sind aus uns hervorgegangen." Und alles Unheil auf die Gesellschaft zu schieben, sei zu einfach. Die Gesellschaft sei nicht anonym, sie habe Gesichter und Namen.
Als falsch habe sich in seinen Augen der Versuch erwiesen, die Kinder; bzw. Jugendlichen auf andere Schulen abzuschieben, so wie es das Schulamt Heidelberg mit Einvernehmen der Eltern angeordnet habe. Die alten Mitschüler und Lehrer nämlich kannten auch die positiven Seiten der Täter, an den neuen Schulen aber waren sie "die Mörder von Neulußheim."

Die Ortsgemeinschaft aber sei nur dann tragfähig, wenn sie in der Lage sei, Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, aufzufangen. Keine Frage, dass hier in der Bevölkerung viel Überzeugungsarbeit notwendig sei. Immer wieder erhalte Greiner anonyme Briefe, in denen gefordert werde, man müsse die Täter "wegsperren". Solche Ratschläge seien Schläge, klagt er. Unverständnis zeigt er auch für die Meinung eines Vaters: "Das wäre meinem Kind nie passiert, und wenn, dann hätte ich es totgeschlagen."  Für die Zukunft aber heiße es, verstärkt Prävention zu betreiben, und zwar dann, wenn sich die kognitiven Fähigkeiten ausbilden, sprich bereits im Kindergartenalter.

Er bedauert, dass viele Bürger die schreckliche Tat von damals "abhaken" wollen getreu dem Motto "Deckel drauf und fertig". Jetzt gelte es vielmehr, sich intensiv damit zu beschäftigen, damit sich das schreckliche Ereignis vom 15. Oktober nie mehr wiederhole.
Und noch einmal gibt er zu bedenken, dass es sich bei den Tätern von Neulußheim nicht um gesellschaftliche Randgruppen handle, sondern um "Kinder aus unserer Mitte". Von daher könne man hier keine Schuld abwälzen, sondern wir alle stünden in unserer Verantwortung. Denn was sich damals ereignete, sei nicht ein Neulußheim-spezifisches Phänomen, das könne überall passieren, an jedem Ort.

(ik), www.rnz.de vom 12.3.2004


 

Bischof Dr. Ulrich Fischer zur Jugendkriminalität in Neulußheim

Bischof Dr. Ulrich Fischer von der evangelisch-badischen Landeskirche wohnt jetzt mit seiner Familie in Neulußheim
"Hier werden wir uns ganz bestimmt wohlfühlen können"

Neulußheim. Einen prominenten Mitbürger hat die Gemeinde Neulußheim seit diesen Tagen in ihren Mauern: den Landesbischof der badischen evangelischen Landeskirche, Dr. Ulrich Fischer (55). Zusammen mit seiner Frau Brigitte, die Sonderschullehrerin und Leiterin der Beratungsstelle für sprachbehinderte Kinder an der Kurt-Waibel-Schule in Schwetzingen ist, und seiner ältesten Tochter Susanne mit ihrer Familie, hat er sich Neulußheim als gemeinsamen Wohnort ausgesucht.
"Draußen im Neulußheimer Süden", im Gewerbegebiet, inmitten freier Natur, bewohnen sie ein neu erbautes, helles und freundliches Haus, in dem sich außer dem vierjährigen Enkel Florian auch zwei Schildkröten und zwei Hunde wohlfühlen. Außer Tochter Susanne hat das Ehepaar Fischer noch zwei Töchter, die in Köln und Frankfurt/Main leben.
Für Dr. Fischer ist es erfreulich, dass sein neuer Heimatort über einen Bahnanschluss verfügt. So kann er während seiner vielen Reisen im Zug einiges aufarbeiten. Außerdem bekennt er, dass er "gerne nah' den Menschen" ist. In einer verhältnismäßig kleinen Wohngemeinde ist dies möglich - und "hier werden wir uns wohlfühlen können". Bereitwillig stand er unserer Zeitung Rede und Antwort.
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SZ: Seit einigen Monaten hat Neulußheim ein spezielles Problem mit der Jugendkriminalität. Wie denken Sie über die Möglichkeiten, als Kirche zu helfen?

FISCHER: Als ehemaliger Landesjugendpfarrer sehe ich die Problematik ganz gezielt. Es ist doch so, dass unsere jungen Leute viel zu wenig Möglichkeiten haben, ihren Bewegungsdrang auszutoben. Hier sind der Freizeitsport und die Vereine gefragt, deren Engagement einen unschätzbaren Wert haben. Unsere Jugendlichen sitzen zu viel vor dem Computer und der Mediengebrauch ist zu hoch. Manches Mal wird in die Wirklichkeit umgesetzt, was ein vorher gesehener Film gezeigt hat. Deshalb ist es wichtig, Fernseh- und auch sonstige Regeln in den Familien festzulegen. Kinder und Halbwüchsige wollen Grenzen aufgezeigt bekommen. Aber man muss auch eingestehen, dass es die Jugendlichen heute nicht leicht haben. Die Unübersichtlichkeit nicht nur bezüglich der Ausbildungsmöglichkeiten zum Beispiel ist zu groß, die Lebensbedingungen sind schlechter geworden und damit sind die Heranwachsenden entscheidungsfähiger geworden. Und: Familienleben ist ganz wichtig für junge Menschen - wie gesagt, gewisse Regelmäßigkeiten auch. Da hat auch die Kirche eine wichtige Position, indem sie die Kids in die Pflicht nimmt und gewisse Regeln ins Spiel bringt.
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Kompletten Text von Gisela Jahn bitte auf www.morgenweb.de lesen (sofern Abonnent)

 

Zwei spektakuläre Kapital-Verbrechen im Jahr 2003

Polizeidirektor Bernd Fuchs zum Jahreswechsel: Sicherheit kann gewährleistet werden, aber die "Zitrone Polizei" ist nicht ewig ausquetschbar

Die Heidelberger Polizei blickt auf ein ausgesprochen arbeitsreiches, jedoch auch erfolgreiches Jahr 2003 zurück. "Wir haben im vergangenen Jahr versucht, auf allen unseren Arbeitsfeldern Standards zu setzen und zu halten", sagt der Leiter der Polizeidirektion, Kriminaldirektor Bernd Fuchs im Gespräch mit der RNZ, "und wir können derzeit guten Gewissens sagen, dass wir die Sicherheit unserer Bevölkerung auch weiterhin gewährleisten können".

Zwei spektakuläre Kapital-Verbrechen, die damit verbundenen Ermittlungen und die Aufklärung prägten im zurückliegenden Jahr die Arbeit der Heidelberger Polizei sehr stark: Der Dreifachmord von Ziegelhausen, der im Januar nach 39 Tagen Ermittlungsarbeit geklärt werden konnte, und das Tötungsdelikt von Neulußheim, bei dem eine Gruppe von Jugendlichen einen Obdachlosen zu Tode prügelte.
"Für uns war es ebenso entsetzlich wie für die gesamte Bevölkerung, als wir feststellen mussten, dass die Morde von Ziegelhausen tatsächlich vom Motiv her so schrecklich einfach waren, dass ein Mensch wegen ein paar Euro drei Menschenleben auslöschte", sagt Bernd Fuchs rückblickend.
Das Tötungsdelikt von Neulußheim sei hinsichtlich der dadurch ausgelösten Fassungslosigkeit und Betroffenheit mit den Ziegelhäuser Morden vergleichbar: "Das Motiv und die Abläufe waren so unvorstellbar wie die Tatsache, dass die Tat von Menschen begangen wurde, die mitten unter uns leben".

RNZ vom 5.1.2004, ganzen Artikel auf www.rnz.de lesen

 

Obdachlosen-Aktion zu Weihnachten in Neulußheim

Dass die Menschen in Neulußheim noch immer von der schrecklichen Bluttat an einem Obdachlosen geprägt sind, wurde in einer erstmals durchgeführten Aktion deutlich. So hatten Heimatvertriebene in Erinnerung an ihr eigenes Leid Obdachlose zu einem Speise- und Gabentisch an die Bushaltestelle vor dem Rathaus eingeladen. Als ob die betroffene Randgruppe der Gesellschaft den Ort derzeit bewusst meiden würden, kam es nur zu wenigen Besuchen von Obdachlosen. Dennoch war Gertrud Rupp über die Zurückhaltung nicht enttäuscht: "Wir wollten gerade zu Weihnachten ein Zeichen setzen und werden diese Aktion in Zukunft wiederholen."

www.morgenweb.de vom 27.12.2003

 

In der Schule Verabredung zum "Penner klatschen"

Was Neulußheims Bürgermeister Gerhard Greiner "nicht aus dem Kopf geht" - Kinder zur Achtung vor dem Menschenleben erziehen

Neulußheim. "Mir geht das nicht aus dem Kopf", sagt Bürgermeister Gerhard Greiner immer wieder. Wir sitzen in seinem Rathauszimmer und reden über die Kinder, die einen Obdachlosen brutal zu Tode geprügelt haben. Die heimelige, kultivierte Atmosphäre mag so gar nicht zu dem schrecklichen Thema passen. Riesige Grünpflanzen, jede Menge ästhetischer Werke regionaler Künstler und auf dem Tisch brennen die drei Kerzen des Adventskranzes. Bevor Greiner vor über zehn Jahren Neulußheims Gemeindechef wurde, war er Kunsterzieher. Das heißt: Er kennt Kinder und Jugendliche. Nein, "Verständnis" für die bösen Kinder - wie im teilweise unterstellt wird - kann er nicht aufbringen. Aber er sucht nach Erklärungsmustern und sagt: "Sie setzten das in die Tat um, was verbal am Stammtisch passiert - auch in unserer Gemeinde." Er spricht auch von "großen Widerständen" innerhalb des Ortes gegen seinen "runden Tisch", den er "Steuerungskreis" nennt und dessen großes Ziel eines ist: Kindern und Jugendlichen klar zu machen, dass ein menschliches Leben das Wertvollste ist. Was Gerhard Greiner sagt, klingt überlegt, "Schnellschüsse" sind nicht seine Art: "Was bei uns passierte, wird immer wieder als die 'absolute Gewalttat' dargestellt. Aber das hat andere Hintergründe, die gehen noch viel tiefer und sind viel erschreckender als Aggressionen". Das ist seine Überzeugung. Für ihn manifestiert sich in der Bluttat die völlige Entwertung, Erniedrigung und Geringschätzung eines Menschenlebens.

"Mir geht das nicht aus dem Kopf", sagt er, "dass sich morgens die Schulkinder verabredeten, um ,Penner zu klatschen'". Und "mir geht es nicht aus dem Kopf, dass mehr als 20 Schüler Bescheid wussten". Können Sie sich vorstellen, dass ein Mädchen zu dem am Boden liegenden schwer verletzten Johann Babies sagt: "Was gibt Dir das Recht mich anzuglotzen?" Verständnis für die jugendlichen Täter? - wohl kaum. Aber da ist etwas anders, etwas, das "VerAnworten" heißt, sprich Antworten auf Fragen zu geben. Deshalb der "Steuerungskreis", der sich aus all jenen zusammensetzt, die sich in der Gemeinde "Verantwortungsträger" nennen: Kommunalpolitiker, Kirchengemeinderäte, Pfarrer, Lehrer, Erzieher, Elternbeiräte, Vereinsvorstände. Sie wollen Wege finden, die eine Perspektive aufzeigen. "Wege entstehen, wenn wir sie gehen", sagt der Schulpsychologe Bodo Reuser.

Die Neulußheimer sind bereit zu gehen: "Wenn unsere Arbeit Sinn machen soll, dann müssen wir so früh wie möglich damit anfangen". Das heißt: im Kindergarten. Wertvolle Hilfestellung kommt von der Polizeidirektion aus Heidelberg. Erfahren in Präventionprogrammen, selbst für die Kleinsten, begleitet die Behörde die Neulußheimer Bemühungen um ein "Wir-Gefühl". Pressesprecher Harald Kurzer: "Wir haben in Neulußheim die große Chance, dass es uns gelingt, einen Stein in Bewegung zu setzen. Was hier passiert, ist in dieser Form einmalig, ein Modellprojekt". Konkrete Projekte in Kindergärten, Schulen, Vereinen sollen ab Januar gestartet werden.

"Bislang", so der Bürgermeister, "bestimmt das schreckliche Geschehen noch unseren Alltag und drängt anderes zurück. Wir müssen dahin kommen, die Tat in das Tagesgeschäft zu integrieren". Denn wenn erst das öffentliche Interesse an den "bösen Kindern aus Neulußheim" nachlässt, erst dann beginnt die wirkliche Aufarbeitung. Für Gerhard Greiner stellt sich dabei nicht die Frage nach der Schuld, aber die Frage nach der Zukunft und der Gegensteuerung des moralischen Werteverfalls. Das ist sein Ansatz. Unterstützung erfährt er vom Rektor der Hauptschule, Peter Scholl. Fünf der verdächtigten Schüler drücken in der Lußhardt-Schule die Schulbank. Ein sechster kam jetzt aus Hockenheim dazu. Über den Totschlag wurde auch in der Klasse jener geredet, die es offenbar dem "Penner Paul" zeigen wollten. Andere Schulen verweigern die Diskussion.

Die Hütte, vor der Babies erschlagen wurde, steht nicht mehr. Hier wird ein Baum gepflanzt und eine "bescheidene" Gedenktafel angebracht werden

Ingrid Thoms-Hoffmann, RNZ vom 17.12.2003, www.rnz.de

 

 

 

Die Herausforderung der unfassbaren Tat annehmen statt verdrängen

Beiträge der Podiumsteilnehmer bei Auftaktveranstaltung "Wir - auf der Suche nach Antworten": Verantwortung trägt jeder

Neulußheim. Das Wissen um die Tötung eines hilflosen Menschen, von Kindern und Jugendlichen gemeinsam begangen, lag wie ein bedrückender grauer Schleier über der Veranstaltung, zu der man sich unter dem Motto "Wir - auf der Suche nach Antworten" in der Aula der Lußhardt-Schule getroffen hatte (wir berichteten).

Kommunalpolitiker, Vertreter der Kirchen, Lehrerkollegium und Elternbeiräte sowie Vereinsvertreter trafen hier mit kompetenten Fachkräften zusammen. Bodo Reuser, der Leiter der psychologischen Beratungsstelle der evangelischen Kirche in Mannheim, ging in seinem dreiviertelstündigen Vortrag auf die Entwicklung des Kindes und des Jugendlichen in der Zeit der Pubertät ausführlich ein. Er zitierte die französische Psychologin Francoise Dolto, die von der Pubertät als der Zeit spricht, in der "der Hummer seinen Panzer verliert". Also einer Zeit der leichten Verletzbarkeit, einer Zeit, in der neue Werte gesucht, bei den Erwachsenen aber oft nicht gefunden würden. Deshalb seien die Jugendlichen auf der Suche nach Übereinstimmung, es komme zu Abhängigkeiten vom Urteil anderer, schließlich sei man auch auf der Suche, andere in vergleichbarer Situation zu finden.

So ergebe sich, wie Reuser weiter ausführte, dass man sich in einer Gruppe wohler, vor allem sicherer fühle, hier werde die Unsicherheit genommen und die Risikobereitschaft vergrößert. Innerhalb der Gruppen verteilten sich dann, so Reuser, die Rollen, und bekannt sei das Phänomen, dass letztendlich ein "Außenfeind" eine Gruppe im Inneren stärken könne. Bodo Reuser machte deutlich, dass er dies nur sachlich-nüchtern aufschlüssele, keine Wertung mit einfließen lassen wolle. Er hatte bereits anfangs deutlich gemacht, dass sich ein solcher Fall überall hätte ereignen können. Diese Tatsache solle aber nicht zu der Folgerung führen, dass man die Tat verdrängen und die Zuständigkeit ablehnen könne.

Der zweite Referent des Abends war Schulleiter Peter Scholl. Innerlich bewegt und doch jederzeit sachlich informierte er über die Tage nach der Tat, als "das alles wie ein Orkan durch die Schule ging." Sprachlos sei man gewesen und entsetzt, sowohl die Schüler als auch die Lehrer. Schließlich habe man auch bald erfahren, dass es neben den Mittätern auch noch eine Reihe von Mitwissern gab. In allen Klassen wurde über die Tat gesprochen, dabei standen die Lehrer, selbst völlig verunsichert, vor der schweren Aufgabe, dies für alle Schüler von sechs bis 16 Jahren jeweils altersgerecht zu tun.
Mit Hilfe von außen, einer Supervision, habe man versucht, die Situation für die Lehrer zu stärken, Schwerpunkte seien zunächst die Klassen mit Tatbeteiligten gewesen, führte Peter Scholl weiter aus. Das bereits zuvor aufgebaute Netzwerk gegen Gewalt würde jetzt noch enger geknüpft und die Zusammenarbeit mit Gruppen und Vereinen noch mehr intensiviert werden.

Harald Kurzer, der Sprecher der Polizeidirektion Heidelberg, beleuchtete zunächst die strafprozessuale Seite des Falles. 17 Menschen seien im Ermittlungsverfahren vernommen worden, die Ermittlungen seien abgeschlossen, wahrscheinlich am morgigen Dienstag würden die Akten an die Staatsanwaltschaft übergeben. Anfang kommenden Jahres sei mit der Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft zu rechnen, eventuell würden noch Gutachter hinzugezogen. Kurzer widersprach dabei auch gelegentlichen Vorwürfen, es sei zu wenig Information an die Öffentlichkeit gekommen. Ermittlungsverfahren seien schließlich immer geheim, erst die Hauptverhandlung vor Gericht sei öffentlich. Diese Verhandlungen werden vor der Jugendgerichtskammer des Landgerichts Mannheim stattfinden. Da Jugendliche angeklagt sind, wird es im Ermessen des Gerichts liegen, ob die Verhandlung wirklich öffentlich ist.

Genügend Zeit stand auch für Fragen aus der Reihen der Teilnehmer der Veranstaltung zur Verfügung. So wurde angemahnt, dass viele Jugendliche Gewaltbereitschaft vor allem bei Videos erleben könnten. Polizeisprecher Kurzer stimmte zu: "Wenn Eltern oft wüssten, was sie im Regal haben, es fehlt die Medienkompetenz". In die gleiche Richtung zielten auch die Überlegungen, dass Jugendliche sich eine virtuelle Welt schaffen. Schuld könne man aber, so war man sich einig, nicht allein "dem Fernsehen" geben, es komme darauf an, wie das Fernsehen "konsumiert" werde, ob Eltern beispielsweise Positionen beziehen oder in missverstandener Freiheit alles ignorierend zulassen.

Die Probleme der Schulen gebe es auch in Vereinen, machte ein weiterer Beitrag deutlich. Es gebe aber auch zu wenig ehrenamtliche Mitarbeiter, deshalb seien diese oft überfordert. Viel mehr Menschen müssten bereit sein, sich für die Jugend einzusetzen, meinte unter dem Beifall der Besucher die Vorsitzende eines großen Sportvereins: "Wir müssen Arbeit auf mehrere Schultern verteilen."

Schulleiter Wolf von der Theodor-Heuß-Realschule in Hockenheim sprach kurz über seine Erfahrungen in diesem Bereich (Schüler der Realschule sind ebenfalls tatverdächtig) und machte deutlich, dass man nicht übersehen dürfe, dass die Erziehung für manche Eltern eine sehr große Herausforderung sei. Zum Baby-Wickel-Kurs gingen alle jungen Eltern, Erziehungskurse für Eltern seien aber weniger gefragt. Hier müsse man einen wichtigen Ansatzpunkt sehen.

An die Verantwortlichkeit aller für die Jugend, nicht nur der Eltern und beruflichen Erzieher, appellierte Pfarrer Uwe Sulger. Man dürfe nicht immer nach jemandem suchen, "der uns die Sorge abnimmt", man müsse sich selbst den Herausforderungen stellen.

Bürgermeister Gerhard Greiner machte in seinem Schlusswort deutlich, dass man in Neulußheim sich intensiv den Hausforderungen stellen werde und wolle, die ein solcher Vorfall auf die gesamte Gemeinschaft habe. Das Interesse an der Initialveranstaltung habe die Zuversicht aufkommen lassen, dass auch bei den verschiedenen Gesprächen in den sich jetzt bildenden "runden Tischen" das Ziel verfolgt werde, dass neue Perspektiven im Zusammenleben der Generationen und ganz unterschiedlicher Menschen geschaffen werden könnten.
ba, Schwetzinger Zeitung vom 15.12.2003

 

Wenn die "Beißhemmung" verloren geht

Eine andere Betrachtungsweise des "runden Tisch" in Neulußheim
- "Opfer des J. Babies" annehmen?

Neulußheim. Eine Gemeinde macht sich auf, einen Mord in ihrer Mitte aufzuarbeiten. Absolut löblich. Aber: Da quälen acht innerlich und moralisch völlig verwahrloste Heranwachsende, denen offenbar jede genetisch veranlagte "Beißhemmung" abhanden gekommen ist, zwei Stunden lang einen Menschen mit Schlägen und Tritten zu Tode und dann geht es in einer Veranstaltung, in der das Ereignis aufgearbeitet werden soll, um Verständnis, Verständnis und noch einmal Verständnis. Auch um Selbstzweifel und darum "Was haben wir alle falsch gemacht?".

Aufarbeitung als Mittel der inneren Gesundung ist der Grundansatz.  Doch dann versteigt sich der Experte von der psychologischen Beratungsstelle der evangelischen Kirche Mannheim, Bodo Reuser, sogar dazu, davon zu sprechen, dass man "das Opfer des Johann Babies" annehmen solle. Dazu muss dringend gesagt werden: Johann Babies hat kein Opfer gebracht, denn ein Opfer bringt man freiwillig. Dem Menschen Johann Babies wurde sein Leben vielmehr gewaltsam und gegen seinen Willen entrissen. Ansonsten fällt an diesem Abend kaum einmal der Name des Getöteten. Ein Obdachloser hat keine Lobby.

Betretene Gesichter in der voll besetzen Aula der Lußhardtschule in Neulußheim - sowohl auf dem Podium als auch unter den Zuhörern, aber nicht in Trauer um den Toten, sondern angesichts der Tatsache, dass da etwas "in unserer Mitte massiv schief gelaufen ist", so Bürgermeister Greiner. Die von Gerhard Greiner und Pfarrer Uwe Sulger mit besten Absichten initiierte Veranstaltung, die nur der Auftakt zu einer "Aufarbeitungsoffensive" in der Gemeinde Neulußheim sein soll, will den Neulußheimern vermitteln, dass sie hinschauen und sich einmischen müssen. Früher nannte man das einfach Zivilcourage zeigen und das war durchaus auch verbunden mit Grenzen aufzeigen. Von Strafe will man jedoch auf der Veranstaltung nicht sprechen. Konsequenzen ja, die müsse das Verhalten natürlich haben, Strafe? Dafür ist die Justiz zuständig.

Der Pressesprecher der Polizeidirektion Heidelberg Harald Kurzer gibt dann einen kurzen Überblick über den Stand der Dinge. Man habe 17 Personen vernommen. An der Tat beteiligt oder in Randbereichen dazu sollen 10 bis 15 Jugendliche sein, außerdem gab es noch einmal so viele Mitwisser, wie der Rektor der Lußhardtschule erklärt. Weitere Vernehmungen seien nicht geplant, weil man sich keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn davon verspricht. Der Tatablauf sei geklärt, die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zugeführt. Man rechtet Mitte Januar mit einer Anklage der Staatsanwaltschaft bei der Jugendgerichtskammer des Mannheimer Landgerichts. Ob die Hauptverhandlung öffentlich sein wird, sei offen. Das liege im Ermessen des Gerichts.

Bodo Reuser gibt anfänglich einen dreiviertelstündlichen Einblick in die psychologischen Grundlagen des Erwachsenenwerdens. "Wenn der Hummer den Panzer wechselt, ist er sehr gefährdet." Der Satz soll verdeutlichen, dass Jugendliche in der Zeit der Pubertät ganz besonders auf Vorbilder angewiesen sind. In einer Phase der eigenen Verunsicherung hinterlassen Erwachsene oft einen falschen Eindruck bei den Jugendlichen, die sich dann abwenden. In der Gruppe könne sich dann ein Verhalten etablieren, das von den Stärksten vorgegeben werde. Aber in der Gruppe auch einmal "Nein" zu sagen und seinen eigenen Standpunkt zu behaupten müsse gelernt werden.

Die Veranstaltung in der voll besetzten Aula der Lußhardtschule, die sich vor allem an Lehrer, Vertreter der Vereine, Gemeinderäte und Vertreter der Kirchen richtete, warf schließlich einen Blick nach vorn. Eine gemeinsame Anstrengung der Gemeinde Neulußheim soll alle Möglichkeiten einer Gewaltprävention einsetzen, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann. Denn solche Abgründe, dass wir uns einen Menschen tot wünschen, gibt es in jedem von uns. Nur besteht zwischen abstraktem Wunsch und konkreter Tat noch ein kleiner Unterschied.

Harald Berlinghof in der RNZ vom 13.12.2003, www.rnz.de

Bodo Reuser, Diplom-Psychologe, Regionalvertreter Nordbaden
Psychologische Beratungsstelle der Ev. Kirchengemeinde
C 3, 5 - 6, 68159  Mannheim, Tel 0621/28 000
ev.pb.ma@t-online.de, www.erziehungsberatung-baden-wuerttemberg.de/verein/vorstand.htm

Pfarrer Uwe Sulger
http://www.ev-kirche-neulussheim.de/home.html

Polizeidirektion Heidelberg
www.polizei-heidelberg.de

 

Mutig - hilflos

"Den Tätern muss beigestanden werden, damit sie mit einer Last weitergehen können, die nie von ihnen genommen wird, solange sie leben. Wenn wir ihnen ein endloses Übel zufügen, zwingen wir sie in einen Widerstand, der es ihnen unmöglich macht ihre Tat zu erkennen und sie auf sich zu nehmen."

Das schrieb der in diesem Jahr verstorbene Gerichtsreporter Gerhard Mauz. Er kannte nicht die "bösen Kinder" von Neulußheim, aber er kannte die menschliche Seele und ihre Abgründe. Wenn sich jetzt die Neulußheimer zusammensetzen, um über die schreckliche Tat "ihrer" Kinder zu diskutieren, dann helfen sie sich zunächst einmal selbst, mit dem Furchtbaren umzugehen. Aber es hebt sie auch positiv hervor, dass sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Auch wenn die Hütte des von den Jugendlichen getöteten "Waldmenschen" nicht mehr steht, mit jedem Treffen wird die Erinnerung an ihn und die Tat wachgehalten.

Unser Mitarbeiter Harald Berlinghof war im Gespräch in Neulußheim dabei (vergl. oben stehenden Bericht) und er sieht die Diskussion von einer anderen Warte, kommt in seiner kommentierenden emotionalen Berichterstattung zu anderen Schlüssen, als die, die bisher in der RNZ gezogen wurden. Wir wollen aber auch diese Meinung nicht unterdrücken, weil auch sie ein Stück Wahrheit enthält und weil sie zeigt, wie hilflos die Erwachsenen sind, die ein Verbrechen aufarbeiten wollen. Und wie schwierig es für sie ist, für das Dunkle einer kindlichen Seele die richtigen Worte zu finden.

Der Kommentar, Ingrid Thoms-Hoffmann in der RNZ vom 13.12.2003, www.rnz.de

 

Nur kleinräumige Maßnahmen vernetzen nachhaltig

Großes Interesse an der Initialveranstaltung mit Verantwortungsträgern aus dem kommunalpolitischen und schulischen Bereich

Neulußheim. "Wir - Auf der Suche nach Antworten". Dieser Gedanke zog sich auch wie ein roter Faden durch den Abend, der am Donnerstag als Initialveranstaltung den Beginn weiterer Gesprächreigen und "runder Tische" eröffnete. Die Suche nach Antworten und das Finden neuer Wege sah man als große Aufgabe an, mit dem Geschehenen zu leben und die Zukunft zu gestalten, hoffnungsvolle Perspektiven zu schaffen.

Zwei Monate sind seit der Bluttat im Rande von Neulußheim vergangen. Die Frage nach der Schuld und nach den Schuldigen müsse man weiter führen, alle müssten sich damit auseinander setzen, betonte Bürgermeister Gerhard Greiner zu Beginn der knapp zweieinhalbstündigen Veranstaltung.

Auf dem Podium konnte Bürgermeister Greiner neben Pfarrer Uwe Sulger und Rektor Peter Scholl zwei weitere Gäste begrüßen: Bodo Reuser ist der fachliche Leiter der psychologischen Beratungsstelle der evangelischen Kirche in Mannheim. Harald Kurzer ist der Pressesprecher der Polizeidirektion in Heidelberg.

Bodo Reuser von der psychologischen Beratungsstelle machte vorab deutlich, dass es durchaus "normal" sei, dass man wegzudrängen versuche, und zwar schon deshalb, weil man sich selbst schützen wolle. Dennoch müsse man sich verdeutlichen, "was passiert in dem Moment, in dem so etwas passiert".

Peter Scholl, Rektor der Lußhardtschule, schilderte in sachlich klaren Worten den Ablauf des plötzlich total veränderten Lebens in der Schule für die Schüler ebenso wie für die Lehrer. Man wolle das Netzwerk zu Gruppen und Vereinen noch dichter zu knüpfen.

Pressesprecher Harald Kurzer von der Heidelberger Polizeidirektion ging auf den strafprozessualen Ablauf ein und machte deutlich, dass die Kriminalität bei Jugendlichen in den letzten knapp zwei Jahrzehnten sprunghaft gestiegen sei. "Es kommen oft viele glückliche Umstände zusammen, dass eine Gewalttat nicht so endet wie hier bei Ihnen in Neulußheim," sprach Kurzer offen aus.

Kurzer sparte auch nicht mit offenem Lob für die begonnenen und geplanten Aktionen: "Ihre Veranstaltung am heutigen Abend kann durchaus Pilot-Charakter haben," denn nur mit kleinräumigen Maßnahmen könne man eine wirklich nachhaltige Vernetzung erreichen."

Die Medienkompetenz, der Umgang mit den Medien sei nicht nur kein Unterrichtsfach, sondern komme überhaupt in der Erziehung zu kurz, war mehrfach zu hören. Parallel einher gehe die Tatsache, dass die "Mitfühlfähigkeit" derzeit immer mehr abhanden komme.

Eine Reihe von interessanten Wortmeldungen zeigte, wie intensiv man sich mit diesem Fall beschäftigt. Dieses Interesse bezeichnete Bürgermeister Greiner als Zeichen, "dass Ihnen Gemeinde und Jugend nicht gleichgültig sind". Wer künftig bei einem der "runden Tische" in den Bereichen Kindergarten, Schule, Vereine und Erwachsenenbildung mitarbeiten wolle, sei willkommen, ein Anruf im Rathaus genüge. Über weitere Einzelheiten der Veranstaltung werden wir noch berichten.

ba, Schwetzinger Zeitung vom 13.12.2003, mehr auf www.morgenweb.de


 

Einen Namen bekam Johann Babies erst, als er tot war

Mao geht nicht oft in die Kirche. Anfang November war der Mann mit dem langen Bart gleich zweimal dort. "Wegen dem Hennes", sagt Mao, der nach dem großen chinesischen Vorsitzenden heißt, aber nicht mehr weiß warum. Hennes und Mao, zwei Obdachlose, der Volksmund nennt sie Penner, Mao nennt sich lieber Weltenbummler. Sie haben sich gekannt, wie man sich eben kennt auf der Straße.

Nun ist Hennes tot. Erschlagen. Von Jugendlichen und Kindern. Und Mao hat eine Kerze gekauft. Dort am Altar der evangelischen Kirche in Neulußheim steht Hennes Fahrrad samt Anhänger, mit dem er immer einkaufen gefahren ist. Direkt hinter dem inzwischen schon berühmten Aufkleber "Ein Herz für Kinder" hat Mao seine Kerze in eine Bierflasche gesteckt und angezündet. "Der Hennes hat Bier geliebt", sagt Mao. Das ist seine Art zu trauern.

Die Kirche ist brechend voll bei diesem Trauergedenkgottesdienst für Johann Babies, den seine Freunde Hennes nannten. Ganze Schulklassen drängen sich in den Reihen, es werden zusätzliche Bänke aufgestellt. Zwei Wochen sind seit der schrecklichen Tat vergangen, und die Neulußheimer sehnen sich nach klaren Worten und einem Schlussstrich. Doch die Trauerfeier ist erst der Anfang. "Gewalt beginnt im Kopf, mit der Sprache", sagt Bürgermeister Gerhard Greiner in der Kirche, "sie bestimmt über die Medien unsere Alltagswahrnehmung." Jede Erklärung bleibt provisorisch und bruchstückhaft.

Am späten Nachmittag des 15. Oktober, so das Vernehmungsprotokoll, fährt eine Gruppe von acht Jugendlichen zu der Waldhütte, in der Penner-Paule, wie sie ihn nennen, Unterschlupf gefunden hat. Mit einem mitgebrachten Prügel, herumliegenden Ästen und einem Besenstiel schlagen sie über zwei Stunden lang auf den 54-jährigen Obdachlosen ein. Der Hauptverdächtige ist 19 Jahre alt, die andern zwischen zwölf und 14, auch zwei Mädchen sind dabei. Viele schlagen zu, keiner ruft Nein, das Protokoll spricht von anfeuernden Rufen. Das Opfer lassen sie mit Rippenbrüchen, Frakturen an Armen und Beinen liegen. Johann Babies, genannt Penner-Paule, stirbt an inneren Blutungen und Unterkühlung. Kein Kind vertraut sich den Eltern an, kein Jugendlicher telefoniert um Hilfe. Nicht einmal anonym. Seitdem fragen sich nicht nur die Neulußheimer, was mit ihren Kindern los ist.

Fast zehn Jahre lang lebte Johann Babies in Neulußheim, einem kleinen Ort bei Hockenheim in Baden-Würtemberg. Viele der 6.000 Einwohner kannten sein Gesicht, doch für die meisten hatte er weder einen Namen noch eine Geschichte. Er saß an der Bushaltestelle vor dem Rathaus, wenn er sein Tagesgeld abgeholt hatte, sein Fahrrad samt Anhänger gehörte zum Ortsbild, sein roter Bart leuchtete. Der Bürgermeister grüßte, der Pfarrer plauderte mit ihm, wenn er zum Essen ins Pfarrhaus kam. Einen Namen bekam Johann Babies erst, als er tot war.

Mao, der mit ihm auf Platte war, ist wohl der Einzige, der seine Geschichte kennt. Fernfahrer sei er gewesen, viel unterwegs, verheiratet und glücklich, bis ihn seine Frau betrog. "Das war an Weiberfasnet", erzählt Mao, "darüber ist er nie weggekommen. Der Hennes war monogam." Er trank, verlor seinen Führerschein, seine Arbeit, seine Wohnung. Und landete so auf der Straße. "Er war mitten im Ort und doch nicht Teil der Dorfgemeinschaft", sagt der Pfarrer selbstkritisch. Aber auch das erklärt eigentlich nichts.

Rektor Peter Scholl ist ein ernster Mann. Er ist 54 Jahre alt, die Anspannung der letzten Wochen hat seine Mundwinkel nach unten gebogen. Eines der tatverdächtigen Mädchen ging in seine Schule, bevor sie beurlaubt wurde. Nur eine der Tatverdächtigen, aber auch eine ist zu viel. Sie fiel weder durch besondere Aufmüpfigkeit auf noch dadurch, dass sie außergewöhnlich in sich gekehrt war. Ein normales Mädchen eben, aus einer unauffälligen deutschen Familie, wie die anderen auch. Das erschreckt viele am meisten. Peter Scholl hat all die Fernsehteams rausgeworfen, die in seine Schule drängten und Schüler vor die Kameras zerrten. Er hat Schulpsychologen ins Haus geholt, hat diskutiert mit den Schülern. Die müssen damit leben, dass die 13-Jährige, die sie als freundliches Mädchen kennen, mindestens dabei war, als ein wehrloser Mann totgeschlagen wurde. "Mörderin!", beschimpfen sie die einen. "Sie bleibt meine Freundin", sagen die anderen. Nicht nur die Klasse ist zerrissen. "Wir haben versagt", sagt der Schulleiter und meint nicht nur die Schule. "Aber wir wissen nicht wo." An der Schule gibt es Training für Gewaltprävention, Mediatoren und eine Schulordnung, die Gewalt ausdrücklich verurteilt.

Wie konnte das passieren? Wie konnten sie stundenlang auf jemanden einprügeln, der schon wimmernd am Boden lag? Diese Fragen quälen auch den Rektor. "Manchmal kommt es mir vor, als hätten die Kinder nicht realisiert, was sie da tun", sagt Scholl zögernd, "als ob sie dachten, man könne einfach einen Knopf drücken, und das grausame Spiel ist aus." Doch es war kein Videospiel, das weiß auch der Rektor. Es ist nur ein weiteres Bruchstück.

Der Waldweg zur Hütte ist nass vom Regen und übersät mit toten, schwarzen Käfern. Er führt dicht vorbei an Johann Babies Zufluchtsort, der zum Tatort wurde. Nur hundert Meter entfernt die Tennishalle und das Waldhaus, wo man italienisch essen kann. Gleich hinter den Bäumen rauscht die befahrene Bundesstraße. Dieser Ort ist nicht am Rand der Welt. An der Hüttenwand klebt die Todesanzeige der Gemeinde: "Unfassbares ist in unserer Gemeinde geschehen. Wir wollen nicht vergessen. Wir erinnern und gedenken Johann Babies." Darunter Gestecke und Töpfe voll Erika und Stiefmütterchen.
Wo Johann Babies gelebt hat, liegen Müllsäcke voller Bierdosen, eine alte Hose, Holzscheite, das Gerüst eines Fahrrads. Alles liegt durcheinander, übereinander, Dreck, Müll, versiffte Lappen. Meinten die Täter, das Leben eines Menschen, der so lebt, sei nichts wert? Auch das ist nur ein Bruchstück.

Also wabern viele Gerüchte durch Neulußheim: "Die wollten die Hütte für sich", heißt eines. "Der Ältere, in der Schule nur Sechsen, der wollte doch zur Bundeswehr. Dann hätte er noch rumgeballert", vermuten andere. Ein Gerücht scheint sich inzwischen als wahr herausgestellt zu haben: Schon zwei Tage vor seinem Tod sollen Neulußheimer Jugendliche Johann Barbies brutal zusammengeschlagen haben. Fest steht, dass die Polizei gegen vier weitere 14- und 15-Jährige ermittelt.

Die Empörung ist groß in Neulußheim. Sie mündet in anonymen Briefen und E-Mails an den Bürgermeister. Der Stammtisch hat die Täter im Blick und fordert harte Strafen für die Kinder. "Was sind das eigentlich für Menschen, die so was machen? Oder sind das überhaupt noch Menschen?", fragt ein Anonymus, der sich selbst als junger Neulußheimer bezeichnet. Vor so viel selbstgerechtem Zorn wird auch dem Bürgermeister kalt. Simple Lösungen ersparen schmerzhaftes Nachdenken.

Die Familien sollen wegziehen, ist so eine Forderung. "Ratschläge können wie Schläge sein", sagte Pfarrer Uwe Sulger im Trauergottesdienst. Und später im Pfarrhaus fügt er noch hinzu: "Ich will nicht, dass die Leute durchs Dorf gejagt werden." Der 44-Jährige ist ein engagierter Pfarrer, in seiner Jugend war er selbst in einer Art Bande in Mannheim. Er weiß, was Gruppendynamik ist, er kennt Begriffe wie Ehre und Mut. Sulger betreut zwei Tatverdächtige und deren Familien, vermittelt therapeutische Hilfe, bietet selbst Gespräche an. "Ich spüre eine Riesenunsicherheit bei den Kindern", sagt Sulger. Die Polizei stellte bei der Vernehmung eher fehlende Betroffenheit fest. Sulger glaubt, die Jugendlichen realisierten erst langsam, was sie getan haben. Aber sie müssten lernen, die Verantwortung zu übernehmen und mit der Schuld zu leben.

Auch Bürgermeister Greiner will die Jugendlichen nicht verdammen. Seit mehr als zehn Jahren ist er im Amt. Die letzten Wochen waren die schwersten. Auch er sucht nach Erklärungen und findet nur Bruchstücke. Doch als Rathaus-Chef muss er manchmal ganz praktisch denken. Nach Wochen der Lähmung und des Schweigens hätten die Bürger klare Worte erwartet. Mit dem Trauergottesdienst wollte Greiner nicht nur Abschied von dem erschlagenen Obdachlosen nehmen. Er wollte auch die aufgeladene Stimmung im Ort in den Griff bekommen. Das war vor vier Wochen.

Doch der Bürgermeister will mehr, will wenigstens ein paar der Bruchstücke zu einem Bild zusammenfügen, will gemeinsam mit anderen weiterfragen: "Warum haben Kinder, die in unsere Kindergärten und Schulen gingen, eine so schreckliche Tat begangen? Was ist bei uns falsch gelaufen? Wie kann man verhindern, dass sich eine solche Tat wiederholt?" Mit einem runden Tisch vor wenigen Tagen hat die Spurensuche in Neulußheim begonnen. "Wir legen die Sache nicht ad acta, wir haken es nicht ab, wir wollen es aufarbeiten", sagt Greiner. "Wir", das sind Pfarrer Sulger, Schulleiter Scholz, die Jugendarbeiterin und Experten der Polizei. Sie wollen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Sie wollen unbequeme Fragen stellen und vor allem Antworten finden.

Nicht allen in Neulußheim gefällt dieser Eifer. Viele meinen, einen Anspruch auf ein Stück Normalität zu haben. Viele wollen nicht mehr erinnert werden an eine Tat, für die sie sich nicht mitverantwortlich fühlen wollen. Bis auf einen sind die tatverdächtigen Schüler nach den Herbstferien und vierwöchiger Beurlaubung nicht mehr an ihre alten Schulen zurückgekehrt. Den 14-Jährigen drohen Jugendstrafen, die Jüngeren sind noch nicht strafmündig. Für den 19-Jährigen wird es wohl härter kommen. Er sitzt immer noch in Untersuchungshaft. Bis zum Prozess. Der soll Anfang nächsten Jahres beginnen. Viele hoffen dann auf einen Neuanfang.

Längst gehen alle in Neulußheim wieder ihren Geschäften nach. Mao hat sein Tagesgeld heute schon abgeholt und steht an der Bushaltestelle, wo auch der Hennes immer saß, und trinkt ein Bier. Längst flackern hier keine Kerzen mehr, die Gestecke und Blumen sind verschwunden. Der Bürgermeister hat den örtlichen Bauhof beauftragt, die Trauerstelle zu räumen.

Susanne Stiefel, taz Nr. 7224 vom 3.12.2003, mehr auf www.taz.de

 

Der Jugendtreff Point steht im Zentrum

Ein gutbesuchter Jugendtreff ist der Point in Neulußheim. Doch nicht alle Bürger sind glücklich damit. Mietmensch Philipp Müller über Interessenkonflikte beim Job im Jugendtreff

Wenn Mäggie Straßner nachts um zehn Uhr nach Hause fährt, dreht sie meist noch eine Runde durch Neulußheim. Sie kennt die Stellen, an denen die Jugendlichen abhängen, wenn ihr Jugendtreff, der Point, geschlossen ist. Beliebt ist die Treppe vor dem Rathaus, die neben der Kirche an der Hauptstraße. Hier können die Älteren mit dem Auto vorfahren, es gibt Stufen zum darauf Sitzen und im Zweifel schützt die nahe Bushaltestelle vor Regen. Blöderweise lassen die Jugendlichen jede Nacht - irgend jemand sitzt fast immer dort - ihre ausgelutschten Verpackungen von der Döner-Bude, ihre Dosen und ihre Zigarettenpackungen liegen.

Die Treppe vor dem Rathaus gehört natürlich nicht zum Jugendzentrum. Spätestens Montag stehen aber die Kirchgänger im Point, weil sie sich darüber beschweren wollen, dass sie nur über Essensreste in den Gottesdienst gelangt sind. Jugendliche haben den Dreck gemacht und Mäggie Straßner ist die Leiterin des Jugendtreffs. Wozu bezahlen die Neulußheimer denn den Point? Kümmert sie sich gar nicht um ihre Klientel? Nicht allen Bewohnern des Ortes ist es geheuer, dass mitten im Zentrum, direkt unter dem Kindergarten, ein gut besuchter Jugendtreff liegt. Vor fast fünf Jahren wurde es von einem SPD-regierten Gemeinderat ins Leben gerufen. Der damalige Bürgermeister Gerhard Greiner ist heute noch im Amt, aber die Mehrheiten in der Versammlung stehen mittlerweile gegen ihn.

Mit meinem Eintreffen stellt sich die Frage, wo ich übernachten soll. Der Mietmensch bekommt immer Kost und Logis für seinen Einsatz. Eine SPD-Vertreterin bietet mir freie Übernachtung an, sogar mit selbstgekochtem Essen. Der Bürgermeister ist für ein Hotel mit Frühstück. Dort ist nichts frei, also bleibe ich bei Mäggie. Sie kümmert sich darum.
Vor dem Rathaus hat sie gleich erkannt, wer da Döner essend auf den Stufen hockt. Aus ihrer Sicht müsste der Jugendtreff nur länger geöffnet sein, dann hätte die Gemeinde weniger Probleme. Alleine kann sie das jedoch nicht leisten, eine zweite Kraft müsste her. Ob die Neulußheimer das aber wollen?

Getragen wird der Point von einem Verein, finanziert von der Gemeinde und besucht von den Jugendlichen. Die kämpfen seit einiger Zeit für längere Öffnungszeiten und mehr Personal. Sie haben Unterschriften gesammelt und eifrig dafür gestimmt, dass ich als Mietmensch bei ihnen aushelfe.
Ich bleibe für drei Tage in Neulußheim. Mein Projekt sind die lange liegen gebliebenen Computer im JUZ, die zusammengebaut und angeschlossen werden sollen. Eine sehr sinnvolle Aufgabe, doch langfristig muss der Gemeinderat entscheiden, wie die Arbeit verteilt werden soll. Vor dem Rathaus liegen wieder Dönerreste. Mäggie fährt nachts um zehn noch einmal vorbei, sie kümmert sich darum.
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/11/0,1872,2008715,00.html

http://www.jugendtreff-point-neulussheim.de

 

 

 

 

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