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Frühling 2004 in Ochsenbach bei Heidelberg

 

 

Verein "Hilfe zur Selbsthilfe Walldorf" - Fest erbringt fast 5000 Euro

"Wer bietet mehr": Ein voller Erfolg war die Auktion zu Gunsten des Vereins "Hilfe zur Selbsthilfe" beim Spargelmarkt, li. oben.

Viele Besucher fanden den Weg nach Walldorf. Ihnen wurde ein vielfältiges Programm geboten. Schmecken lassen konnte man sich natürlich auch Spargel - der mundete am besten aus der Hand von Verena I., li. unten. Foto: Pfeifer

Walldorf. (seb) Wie es sich Bürgermeister Merklinger in seiner Eröffnungsrede gewünscht hatte, wurde der Spargelmarkt zu einem Fest der Freude. Am Samstag ließ es sich etwas schleppend an. Das Wetter war kühl und windig. Nur der Rummel an der Drehscheibe zog einige Wagemutige an, die sich auf die Schiffsschaukeln oder das "Discovery"-Ungetüm wagten, das sie unausgesetzt rotieren ließ. Da wurde einem schon vom Zuschauen schlecht. Am Nachmittag, als es aussah, als wolle die Sonne eine Weile bleiben, füllten sich die Bänke vor der Bühne am Marktplatz. Viele der Besucher waren wegen der Kindermodenschau des Bekleidungsgeschäfts "Birgit und Jochen" erschienen - irgendwann muss der Sommer ja kommen, und da möchte man seinen Nachwuchs ordentlich einkleiden. Verbunden war die Modenschau mit Vorführungen von jungen Schülern der Tanzschule Kronenberger. Eine Schar Kinder flitzte beispielsweise mit Schirmen und in Regencapes zu einem "Sauwetterlied" von Rolf Zuckowski über die Bühne, und eine Gruppe jugendlicher Mädchen tanzte rhythmisch auf jene sportlich-lässige Weise, wie sie typisch für Hip Hop ist.

Um die Kinder zu unterhalten, hatte die Arbeiterwohlfahrt (AWO) das "Spielmobil" aus Ladenburg geschickt. Beim Kistenstapel-Wettbewerb galt es, einen Turm aus möglichst vielen leeren Getränkekästen zu errichten. Dazu musste man daran empor klettern, und das war eine ziemlich wacklige Angelegenheit. Fatih Gülmez, der ehrenamtlich für die AWO tätig ist, hielt das Seil, mit dem die Kinder gesichert waren, und versicherte Zweiflern immer wieder, dass er sehr wohl kräftig genug sei, so leichte Kletterkünstler zu halten. Glaubt man der zehnjährigen Julia Schaefer, ist das alles halb so wild. Bei ihr sah es so einfach aus, als sie 13 Kisten aufeinander stapelte und sich damit auf über vier Meter Höhe aufschwang. "Das ist nicht schwierig", meinte Julia nonchalant, "das hab ich schon einmal geschafft". Das Gleichgewicht zu halten sei das Wichtigste, erklärte sie, und das könne sie so gut, weil sie als Hobby Einrad fahre. Angst hatte sie keine, sie war hochkonzentriert, und: "Ich hab einfach nicht hinunter geschaut." Großer Andrang herrschte beim Schminken: Die Schülerinnen Annkathrin Gehrig und Angela Schilling, die schon geraume Zeit mit der AWO zusammen arbeiten, verwandelten die Kinder in wilde Raubtiere oder schmückten ihre Wangen mit Blumenornamenten. Der Phantasie waren fast keine Grenzen gesetzt: Einige Eltern waren jedoch gar nicht begeistert, als die Wahl ihres Kindes zum Beispiel auf die gruselige Fratze Draculas fiel.

"Jedes Kind kann irgend etwas gut" hieß es bei Kinderbuch-Autor Jörg Schreiner auf der Oberdorf-Bühne. Er las aus der Geschichte von Theo Tollpatsch vor, der ziemlich ungeschickt ist und oft ausgelacht wird - eine Figur, mit der sich gerade Kinder, aber auch Erwachsene identifizieren konnten. Theo Tollpatsch soll Kindern Mut machen, ihre Talente zu entdecken, und ihnen das Selbstvertrauen geben, sich zu behaupten. Und witzig war das Spektakel auch, da Jörg Schreiner nicht einfach nur vorlas: Er untermalte die Geschichte mit Geräuschen, wie Bienensummen oder Weckerklingeln, und sang daneben auch selbstkomponierte Lieder. Als er sein junges Publikum zum Mitmachen aufforderte, tanzten und tobten die Kinder fröhlich über die Bühne.

Samstag Abend drängten sich die meisten Besucher am Marktplatz und genossen bei einem Bier die Show von Stefanie Nerpel und ihrer Band. Mit Rock und Pop, aber auch Irish Folk, sorgte die Sängerin, die durch die Casting-Show "Star Search" bekannt wurde und eine angenehme Stimme hat, für eine tolle Stimmung. Zwischen den einzelnen Liedern scherzte Steffi Nerpel mit dem Publikum, und da sie aus Waibstadt kommt, bemühte sie sich gar nicht erst, Hochdeutsch zu reden (was Baden-Württemberger nach einem bekannten Werbeslogan sowieso nicht beherrschen). Spaßeshalber ließ sie sich bei einem Lied, ohne im Singen inne zu halten, von ihrer Schwester Julia die Haare schneiden. Einige Male gab sie auch an ihre Backgroundsängerinnen ab, die nicht minder begabt waren; Thanh Mai Susann Kiêù, die auch hervorragend Geige spielt, sang "Queen of pain" von Alanis Morissette, und Nicole Antoni begeisterte die Zuhörer mit "Highway to hell".

Ein großer Erfolg wurde die Auktion zu Gunsten des Vereins "Hilfe zur Selbsthilfe". Insgesamt 77 Artikel, gespendet von der Stadt, von Vereinen, Geschäften und einzelnen Personen aus der Region, kamen unter den Hammer. Die Bieter machten ein Schnäppchen, unterstützten auch noch einen guten Zweck, und hatten dabei eine Menge Spaß: Zum einen war der - freundschaftliche - Wettstreit sehr spannend, zum anderen waren die Kommentare von Auktionsleiter Joachim Rodenbusch vom "Walldorfer Auktionshaus" sehr witzig. Immer behielt er einen erwartungsvollen, herausfordernden Gesichtsausdruck: "Bieten Sie mehr?", wollte er unablässig wissen. Bei Ablehnung fragte er sofort: "Warum nicht?" War ihm das Gebot zu niedrig, meinte er ein Mal lakonisch: "Dafür kriegen Sie den Rahmen, aber das Bild noch nicht." Originell waren die Ideen von Förster Gunter Glasbrenner: Er versprach, für den, der den Zuschlag erhielt, Weihnachtsbäume für die kommenden drei Jahre zu fällen sowie persönlich einen Festtagsbraten zu schießen. Was für ein Tier dies sein würde, blieb ein Geheimnis. Der Wert der zahlreichen Werke, die von Walldorfer Künstlern gespendet worden waren, war freilich nicht zu ermessen. Sehr umkämpft war beispielsweise die Speckstein-Plastik "Paar" von Bildhauer Peter Lubasch; die abstrakte Farbradierung "Im Süden" der erfolgreichen Künstlerin Monika Klein erzielte einen hohen Preis; und heiß begehrt war auch das "Blumenstillleben" von Gottfried Keim: Die Leuchtkraft der Farben erinnerte Joachim Rodenbusch an den Expressionisten Emil Nolde, und da gaben ihm alle Anwesenden recht.

Marianne Falkner vom Verein "Hilfe zur Selbsthilfe" betrachtete das Geschehen mit wachsendem Entzücken. "Das läuft super", meinte sie, "das wird zur Tradition!" Freudig überrascht stellte Sigrid Tuengerthal, Schriftführerin des Vereins, fest, dass insgesamt 4930 Euro zusammen gekommen waren. Der Erlös kommt in vollem Umfang den Projekten des Vereins zugute.
RNZ vom 16.6.2005, www.rnz.de

 

 

 

Selbsthilfe nach amerikanischem Vorbild: "Stiftung Chirurgie" sucht Spender

Manfred Lautenschläger stiftete 300000 Euro - Wenn wir mit 20 Millionen kommen, geht's schneller

Manfred Lautenschläger (links, mit Professor Markus Büchler) spendete 300000 Euro für die "Stiftung Chirurgie". Foto: Rothe

Heidelberg braucht in den nächsten zehn Jahren eine neue Chirurgische Universitätsklinik: So die Vision des Ärztlichen Direktors Professor Markus W. Büchler und seiner Mitstreiter, die für eine entsprechende Stiftung um finanzielle Unterstützung bitten oder selbst spenden. Einmal mehr ging der MLP-Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Lautenschläger dabei mit gutem Beispiel voran und stiftete 300000 Euro.

Das Geld ist allerdings nicht für einen Klinik-Neubau, sondern für eine Studie bestimmt. Diese soll die Wirksamkeit einer neuen Therapie bei Bauchspeicheldrüsenkrebs nachweisen.

Die Zielsetzungen der im Februar 2003 gegründeten "Heidelberger Stiftung Chirurgie" sind weit gefasst. Das Geld kann in die medizinische Forschung fließen, aber ebenso für Fortbildungsmaßnahmen des Personals oder die Verschönerung von Krankenzimmern verwendet werden. Es geht um Selbsthilfe, wenn der Staat kein Geld hat.

Oder eben um "Charity" nach amerikanischem Vorbild. Stiftungsleiterin Shilu Mistry ist Amerikanerin und weiß, welche wichtige Rolle Wohltätigkeit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten spielt. Auch Professor Büchler hat in den USA erlebt, was durch privates Sponsoring in der Medizin alles möglich ist, und glaubt fest daran, dass dies auch in Deutschland funktionieren kann.

Den finanziellen Grundstock für einen Klinik-Neubau zu schaffen, ist, wie Büchler sagte, "mittelfristiges Ziel". Seinen Worten nach wird das Land die erforderlichen Mittel in Höhe von etwa 150 Millionen Euro angesichts der Haushaltslage kaum vor dem Jahr 2025 zur Verfügung stellen. "Wenn wir aber irgendwann mit 20 Millionen Euro nach Stuttgart fahren, geht's vielleicht schneller". Zurzeit verfügt die Stiftung über 400000 Euro.

Rund 100000 Euro spendeten ehemalige Patienten. "Ich gebe gern", sagte auch Manfred Lautenschläger, der dem Universitätsklinikum in den letzten Jahren insgesamt um die 16 Millionen Euro zur Verfügung stellte. "Die Stiftungsszene in Deutschland wird sich verändern", lautet seine Prognose. Es gebe hier nämlich immer mehr Reiche, aber auch Kinderlose, die ihren Nachlass einem guten Zweck zuführen könnten.

Von der Studie über die neue Therapie von Bauchspeichelkrebs (durch eine Kombination von Chemotherapie, Bestrahlung und Interferon alpha) wird erwartet, dass ihr Ergebnis die Überlebenschance Betroffener deutlich erhöhen könnte. Als "Killerkrebs" bezeichnete Privatdozent Dr. Jan Schmidt das Pankreaskarzinom, an dem in Deutschland jährlich etwa 10000 Menschen erkranken. Bisher lebten nur zehn bis 20 Prozent nach der Diagnose noch länger als fünf Jahre. Die neue Therapie, die eine amerikanische Klinik bereits an einer kleinen Patientengruppe testete, könnte die Prozentzahl auf über 55 erhöhen.

Manfred Lautenschläger erkrankte vor 24 Jahren selbst an Bauchspeichelkrebs. Kürzlich erfuhr er durch Zufall, dass es bundesweit nur noch zwei weitere Menschen gibt, die bei gleicher Diagnose so lange überlebten. Nach der Operation mag ihm sein eiserner Wille geholfen haben.

Zusätzlich zu seiner Großspende hat Manfred Lautenschläger ein Ausbildungsstipendium in Höhe von 25000 Euro jährlich ausgeschrieben, das dem medizinischen Nachwuchs Auslandsaufenthalte ermöglichen soll. Die ersten beiden Preisträger sind Dr. Markus Diener und Dr. Moritz Wente von der Abteilung Allgemeine, Viszeral- und Unfallchirurgie.

Heidelberger Stiftung Chirurgie
www.stiftung-chirurgie.com.
Tel 06221/56-4875 oder 56-5480

Karin Katzenberger-Ruf in der RNZ vom 11.6.2004, www.rnz.de

 

 

 

Regionale Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Rhein-Neckar-Kreis

Die rund 250 Selbsthilfegruppen in Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis haben jetzt Stimmen und Gesichter bekommen. Dorothee Schulz und Klaus Querbach wurden zu Sprechern der Regionalen Arbeitsgemeinschaft gewählt.

Der Verein gleichen Namens wurde aufgelöst. Diese Organisationsform schien eher hinderlich, um die Interessen der Selbsthilfegruppen zu vertreten. In einer Arbeitsgemeinschaft gibt es nämlich weder einen Vereinsbeitrag noch irgendwelche Pflichten, an bestimmten Veranstaltungen teilzunehmen, sagt Schulz.
"Ein Sprachrohr für die Selbsthilfelandschaft", so beschreibt Marion Schutt vom Selbsthilfebüro die beiden Vertreter. Noch enger werde damit auch die Verzahnung zwischen der Arbeitsgemeinschaft und dem Büro. Und das ist auch gut so in einer Zeit knapper Kassen, in der Selbsthilfe immer wichtiger wird.

Künftig wollen die beiden Sprecher in zwei Richtungen wirken. Zum einen soll das Verständnis untereinander und der Austausch an Erfahrungen gefördert werden und zum anderen soll der Öffentlichkeit der Stellenwert der Selbsthilfe klar gemacht werden. "Vielen ist gar nicht klar, was da geleistet und wie viel da gespart wird", sagt Klaus Querbach. Ganz zu schweigen davon, dass sich Mitglieder von Selbsthilfegruppen unter Gleichbetroffenen wohl fühlen. "Je mehr wir zusammen machen, umso stärker werden wir", unterstreicht auch Dorothee Schulz. Schließlich sind es oft chronisch kranke oder behinderte Menschen, die sich zu Selbsthilfegruppen zusammenfinden. Und sie können in Zeiten tiefer Einschnitte im Gesundheitssystem durchaus jemanden brauchen, der ihre Partei ergreift.
"Engagierte in Selbsthilfegruppen sind Experten in eigener Sache", weiß Marion Schutt aus langjähriger Erfahrung. Deshalb findet sie es umso wertvoller, dass sich die neuen Sprecher noch zusätzlich engagieren. Der Aufwärtstrend in Sachen Selbsthilfe ist übrigens ungebrochen. Allein im letzten Jahr haben sich zwölf neue Gruppen mit Hilfe des Büros konstituiert. "Wir versuchen den Leuten die Schwellenangst zu nehmen", beschreibt Klaus Querbach ein weiteres Ziel. Denn, dass man in Selbsthilfegruppen wertvolle Unterstützung erfahren kann, haben die Aktiven der Arbeitsgemeinschaft selbst erlebt. Die erste gemeinsame Veranstaltung von Arbeitsgemeinschaft und Selbsthilfebüro findet am Dienstag, 18. Mai, im Seniorenzentrum Neuenheim, Uferstraße 12, um 19 Uhr statt. Die Autorin Margot Sebold liest aus ihrem Buch "Brücke ins Licht" Sie möchte Kraft geben, um den steinigen Weg aus der Krise besser zu meistern.

Klaus Querbach, Tel 06224 54274, kquerbach@freenet.de
Dorothee Schulz, Tel 06221 602156, D.Sch.HD@t-online.de .

 

 

 

Freiwilligen-Börse Heidelberg wird fünf Jahre jung
... und hat noch jede Menge frischer Ideen im Gepäck

Engagieren kann richtig Spaß machen. Den hatten zumindest Schüler der Johannes-Gutenberg-Schule mit einem ungewöhnlichen Projekt. "Licht aus, Farbe drauf", nannten sie das Ergebnis ihrer Neonmalerei. Die kommt in dem in Schwarzlicht getauchten Raum der Freiwilligen-Börse auch bestens zur Geltung. Leuchtende Girlanden hängen im gespenstisch blauen Raum von der Decke, Konfetti-Lichtpunkte dekorieren den Fußboden, und an der Wand hängen Plakate in kreischendem Bunt.
So farbenfroh ist nicht jedes Engagement, das die Freiwilligen-Börse in der Alten Eppelheimer Straße 38 zwischen Organisatoren und potenziell Engagierten vermittelt. Aber als zukunftsweisend haben sich diese "Brückenbauer" in den letzten fünf Jahren allemal erwiesen.

Kein Wunder, dass beim ersten "After-Work-Meeting" das Haus voll war. Ganz unterschiedliche Leute trafen sich da in den weitläufigen Räumen. Solche, die schon "alte Hasen" im bürgerschaftlichen Engagement sind, und solche, die es erst noch werden wollen. "Eine lebendige Mischung, wie wir sie uns wünschen", freute sich Ralf Baumgarth. Als Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Heidelberg vertritt er auch den Träger der Freiwilligen-Börse. Dass sich die Anlaufstelle in einem halben Jahrzehnt zu einem Motor des bürgerschaftlichen Engagements mausern würde, war zu Beginn keinesfalls abzusehen.

Dass dem so ist, liegt wohl nicht zuletzt an dem mittlerweile fünfköpfigen hauptamtlichen Team um Beate Dahint, Michaela Leux-Schirmer, Bernhard Münch, Alexandra Weide und eben Marion Schutt. "Fragen Sie uns Löcher in den Bauch", appellierten die an die zahlreichen Gäste. Und darum ließen die sich nicht zwei Mal bitten. Schließlich gibt es viele Menschen, die gerade den Ruhestand erreicht haben, neu zugezogen sind oder schlicht ein bisschen Zeit übrig haben und sich irgendwo einbringen wollen. Treu geblieben ist die Freiwilligen-Börse dabei ihrem Anspruch, dass neben dem Nutzen für die Allgemeinheit auch die eigene Entwicklung und das Knüpfen neuer Kontakte nicht zu kurz kommen soll. Sie alle erwartet in der Börse (Telefon 06221/619444) eine umfassende Beratung, bei der mit einem Fragenkatalog ein "Profil" des künftigen Engagements erstellt wird, sowie der "rote Ordner", in dem knapp 70 Organisationen, vom Naturschutzbund bis zum Sportverein darlegen, wofür sie jemanden suchen.

"Am Anfang war die Frage, wozu braucht man denn eine Freiwilligen-Börse, ziemlich häufig", erinnert sich Marion Schutt. Dass sie das lange nicht mehr gehört hat, liegt wohl daran, dass die Existenzberechtigung niemand mehr ernsthaft in Frage stellt. "Wir füllen Lücken in Netzen, die es schon gibt", umschreibt Ralf Baumgarth tiefstapelnd die Intention. Eine weitere solche Lücke haben die quirligen Initiatoren schon in Angriff genommen. Ihnen ist nämlich aufgefallen, dass die jungen Männer und Frauen, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr absolvieren, zu 90 Prozent mit den gesammelten Erfahrungen hochzufrieden sind. Eine Klientel, so dachte sich das Team der Freiwilligen-Börse, das eigentlich auch sonst zu längerfristigem bürgerschaftlichem Engagement zu motivieren sein sollte. Denn wer sich einmal mit positiven Erfahrungen engagiert hat, tut das gerne wieder.

Das erhofft sich das Team der Freiwilligen-Börse auch vom Projekt "Jes", zu deutsch "Jugend engagiert sich". Viele junge Leute unterschätzten nämlich, was sie selbst auf die Beine stellen können. Und dabei entstand mit Hilfe von zwei Mentorinnen auch das oben beschriebene Neonprojekt. Natürlich bleibt es nicht bei der einmaligen Aktion. Schon bei den Jugendaktionstagen "Move on" wollen die Schülerinnen und Schüler ihr Können wiederum an andere Jugendliche weitergeben.

RNZ vom 17.2.2003, Kirsten Baumbusch, www.rnz.de

 

 

 

Selbsthilfe- und Projektbüro führt am 8.2.2003 "Selbsthilfetag" durch

Immer mehr Menschen sehen "Selbsthilfe als Lebens-Chance"

"Selbsthilfe als Lebenschance", das sehen immer mehr Menschen so. Für fast alle Bereiche, von Autismus über Bulimie und chronische Schmerzen bis hin zu trauernden Eltern, Unfallopfern und Zwangs-Patienten, gibt es in Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis geeignete Möglichkeiten, mit Leidensgenossen in Kontakt zu kommen. Eine entscheidende Hilfe ist ihnen dabei seit 15 Jahren das Heidelberger Selbsthilfe- und Projektebüros. Das Büro bietet professionelle Unterstützung und fungiert als Kontaktbörse und Anlaufstelle.

Immer wieder gern genützt werden auch die Selbsthilfetage, die das Büro nun bereits zum achten Mal veranstaltet. Am Samstag, 8. Februar 2003, von 12 bis 18 Uhr stehen in der Volkshochschule Heidelberg gleich drei gewichtiges Themenkreise auf dem Programm. Um 13 Uhr geht es um die Reformen im Gesundheitswesen. Um 15 Uhr um das Thema "Süchtig und auf der Suche" und um 16.30 Uhr um "Rastlose Kinder und schwierige Eltern - Zwischen ADS und Pisa". Auch drumherum wird Nahrhaftes für Körper, Geist und Seele geboten. Neben einem Buffet für das leibliche Wohl gibt es Informationsstände verschiedenster Selbsthilfegruppen sowie Schnupperkurse in autogenem Training, progressiver Muskelentspannung und Sturzprophylaxe. Fürs "Auftanken" sorgen Zauberer Daniel Schirmer und Gitarrenklänge.

In Heidelberg gibt es eine ungeheuer breite Palette an Angeboten", weiß Marion Schutt, die das Selbsthilfebüro leitet. Doch noch immer brauchen manche eine ganze Weile, bis sie sich überwinden können und die für ihr Leiden richtige Selbsthilfegruppe suchen. Am Selbsthilfetag soll es ganz unverbindlich und unverkrampft möglich sein, das breite Spektrum zu erkunden. Angesprochen ist die Bevölkerung von Heidelberg und darüber hinaus des gesamten Rhein-Neckar-Kreises. Eröffnet wird der Selbsthilfetag um 12 Uhr, bevor dann um 13 Uhr die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Birgitt Bender, das Impulsreferat zum Thema "Reformen für das Gesundheitswesen: Die Menschen im Zentrum!?" hält. Gesundheitspolitik, so erklärt Marion Schutt, brennt derzeit wohl allen unter den Nägeln. Und die meisten Menschen haben das Gefühl, das ganze Dilemma sei nicht so richtig lösbar.

Wie der Spagat zwischen "Visionen und Alltag" aussieht, darüber diskutieren anschließend Wolfgang Streibl (stellvertretender Vorsitzender des Kassenärztlichen Vereinigung Nordbaden), Bruno Krüger (Geschäftsführer der AOK Rhein-Neckar), Annette Baumer (Krankenhausgesellschaft Baden-Württemberg) sowie die Selbsthilfevertreterin Dorothee Schulz. Dem Thema "Süchtig und auf der Suche" widmet sich der Pädagoge und selbst langjährig Suchtbetroffene Berthold Kilian aus Frankfurt um 15 Uhr. Anschließend wird es Erfahrungsberichte aus den verschiedensten Bereichen der Sucht geben. Auch in Heidelberg gibt es nicht nur Selbsthilfegruppen für Alkoholabhängige und ihre Angehörigen, sondern auch für Drogenabhängige, Spiel- und Esssüchtige sowie Tablettenabhängige.

Um 16.30 Uhr werden dann Anonyme Alkoholiker sowie Mitglieder des Kreuzbundes im Seminarraum der Volkshochschule ein exemplarisches Treffen abhalten. Dieser Programmpunkt wurde aufgenommen, damit auch Menschen, die sich nicht mit Selbsthilfegruppen auskennen, sehen können, wie so etwas abläuft. Der dritte Teil des Selbsthilfetages ist dann Eltern und Kindern gewidmet. "Zwischen Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und Pisa - rastlose Kinder und schwierige Eltern", hat Rainer Steen vom Praxisbüro Gesunde Schule im Gesundheitsamt seinen Part überschrieben. Gerade in diesem Bereich, weiß auch Marion Schutt, schießen Selbsthilfegruppen wie Pilze aus dem Boden. Das zeige, wie sehr vielen die Problematik von hyperaktiven Kindern, Schreibabys und Eltern in Trennung unter den Nägeln brennt. Ihr geht es darum, Eltern auch ein bisschen den Rücken zu stärken. Allzuschnell, so weiß sie als erfahrene Mutter, werden Väter und Mütter von allen Seiten gebrandmarkt, ohne dass sie auf irgendwelche Hilfen hoffen dürfen.

Von Kirsten Baumbusch, RNZ vom 13.1.2003, www.rnz.de

 

 

 

 

Panikattacken - Selbsthilfegruppe

Im Heidelberger Selbsthilfebüro möchte sich eine neue Gruppe gründen - Die Unkenntnis über die Angststörung ist noch weit verbreitet

"Panikattacken - man sieht es nicht, man spricht nicht darüber, und jeder leidet für sich allein." Damit soll Schluss sein, findet Sabine Schmich (Name von der Redaktion geändert). Sie würde gern im Heidelberger Selbsthilfebüro eine Gruppe gründen und sucht dafür noch Gleichgesinnte (Telefon 06221 184290).

Gemeinsam, davon ist die 46-jährige Heidelbergerin überzeugt, könnte es gelingen, die Öffentlichkeit für diese "Angst aus heiterem Himmel" zu sensibilisieren und mit vereinten Kräften Auswege aus dem Höllentrip zu finden. Bei ihr begann das Martyrium vor anderthalb Jahren mit einer leichten Lungenentzündung. Schon vorher plagte sich die Mutter von drei Kindern immer wieder mit langwierigen Erkältungen herum. Doch dieses Mal wirkten auch die Antibiotika nicht.

"Mein Körper hat die Medizin einfach nicht angenommen", erklärt sie sich das heute. Bei einem Belastungs-EKG passierte es dann zum ersten Mal. Der Puls der zierlichen Frau raste nach oben, ihr brach der Schweiß aus, sie bekam keine Luft mehr und hatte Todesangst. Der Arzt musste ihr eine Beruhigungsspritze geben. Irgendwann ging der Pulsschlag wieder nach unten, doch die Angst blieb. Die Attacken wurden so schlimm, dass sie ihrem geliebten Beruf nicht mehr nachgehen konnte und in eine Klinik eingewiesen wurde. Nach fünf Wochen fühlte sich Sabine Schmich aber wieder fit. "Alles ist in Ordnung", sagte sie ihrer Umwelt und ging wieder ihrem Job nach. Doch die Panik, so wurde ihr schnell klar, hatte sich fest in ihrem Leben eingenistet und konnte sie jeden Augenblick aus dem Nichts überfallen. Jede Busfahrt wurde so zur Qual. An Autofahren war gar nicht zu denken. "Ich habe Angst, ich falle tot um", beschreibt sie, "es beginnt immer mit einem Kribbeln in den Füßen, dann steigt es in den Bauch und irgendwann in den Kopf, und dann ist alles zu spät." Allein zu sein erträgt die Heidelbergerin gar nicht mehr

Hätte ihr jemand vor zwei Jahren diese Krankheit geschildert, hätte sie nur mit dem Kopf geschüttelt. Deshalb hat Sabine Schmich ein gewisses Verständnis dafür, wenn selbst gute Freunde sagen, sie solle sich doch einfach einmal zusammenreißen. Dass die Ignoranz aber so weit geht, dass selbst Mediziner und Rentenversicherungen nicht wissen, wie mit diesen Patienten umzugehen ist, bestürzt sie. Dabei ist die Panikstörung seit 1980 als eigenständige Diagnose neben der Angststörung bekannt. Für jemanden, den fast alles außerhalb der vertrauten vier Wände in wilde Panik versetzen kann, ist ein fremder Mediziner, der ihr Blut abnehmen will, eine tödliche Bedrohung. Die Angst, die normalerweise vor Gefahren warnt, ist bei Sabine Schmich völlig außer Kontrolle geraten. Und damit auch ihr ganzes Ich. "Die seelische Belastung schwächt extrem", erzählt die zierliche, dunkelhaarige Frau im RNZ-Gespräch, "manchmal glaube ich, mein ganzer Körper spinnt."

Mit Hilfe ihrer verständnisvollen Ärztin und ihres Psychotherapeuten hat sie in langen Gesprächen herausgefunden, was die Ursache ihres psychischen Kollapses sein könnte. Obwohl sie die Jüngste von sechs Geschwistern ist, haben alle ihr alles auf die zarten Schultern gepackt. Sie pflegte Mutter und Vater bis zu deren Tod, zog drei Kinder groß, durchlitt eine schlimme Scheidung und kümmerte sich auch noch um einen Bruder, der lange Jahre im Gefängis saß. "Alle haben immer alles bei mir abgeladen", weiß sie heute, "und ich habe nicht gelernt, Nein zu sagen." Mehr als vierzig Jahre lang hat ihr Körper das weggesteckt und Sabine Schmich hatte alle seine Signale überhört. Dann brach er zusammen und hat sich bislang nicht davon erholt.

Was eine Selbsthilfegruppe den Betroffenen bringen könnte, davon hat Sabine Schmich ganz genaue Vorstellung. Weiß sie doch aus der Erfahrung in der Kurklinik, dass sich der Umgang mit der Angst trainieren lässt. Wer sich allein nie trauen würde, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen oder in einem Geschäft einkaufen zu gehen, wagt das vielleicht in der Gruppe Gleichbetroffener. Hat dies einmal gut geklappt, dann gewinnt der Betroffene nach und nach so viel Vertrauen, dass er es sich irgendwann auch alleine traut. "Die Verhaltensweisen müssen sich wieder automatisieren", erklärt Sabine Schmich. Und mit wem könnte das leichter gelingen als mit einem Menschen, der die Situationen selbst aus Erfahrung kennt. Wichtig wäre es ihrer Ansicht nach in der Gruppe auch, das Neinsagen im Rollenspiel zu üben. Sie könnte sich sogar vorstellen, dass Menschen, die an Panikattacken leiden, gemeinsam Entspannungsübungen entwickeln. Das fällt diesen Patienten nämlich besonders schwer. "Zu entspannen, das kennt mein Körper nicht", bekennt sie, "da bekommt er regelrecht einen Schock."

RNZ vom 2.9.2002, Kirsten Baumbusch, www.rnz.de

 

 

Asthma - Ortsverband Heidelberg des DAAB 10 Jahre (7.1.2002)

Ute Behschnitt leitet seit über zehn Jahren den Ortsverband Heidelberg des Deutschen Allergie- und Asthmabundes - Große Fortschritte
von Ingeborg Tzschaschel

"Machen Sie doch Ihre Krankheit zum Beruf", empfahl die Therapeutin ihrer Klientin, die während einer persönlichen Krise Hilfe gesucht hatte. Das war vor über zehn Jahren. Ute Behschnitt, selbst von Neurodermitis und Asthma betroffen, befolgte diesen Rat und leitet heute überaus erfolgreich den Ortsverband Heidelberg des Deutschen Allergie- und Asthmabundes (DAAB). Sie machte zwar keinen Beruf daraus, doch ist das Ehrenamt für Ute Behschnitt gleichsam zur Berufung geworden.

"Ich hatte einfach den Wunsch, etwas zu bewegen und Gutes zu tun, etwas, was anderen Menschen hilft", betont Ute Behschnitt. Dabei steht für sie die eigene Erkrankung nicht im Vordergrund, doch kann sie offener mit ihren Problemen umgehen, seitdem sie das Ehrenamt innehat. In dieses Amt arbeitete sie sich durch den Besuch zahlreicher Seminare und Vorträge ein. Eine Fortbildung in Gesundheitspädagogik und Entspannungstechniken kommt ihr dabei sehr zugute.

Ute Behnschnitt (Foto Alex)

Ute Behschnitt, Anfang der 50er Jahre in einer Kleinstadt groß geworden, litt schon als Kind an Asthma. Sie fühlte sich damals isoliert, war vom Sportunterricht befreit und wegen ständiger Atemnot nicht in der Lage, wie andere Kinder Fahrrad oder Roller zu fahren. Es gab kaum wirksame Medikamente, keine Notfallsprays, keine Cortisonsprays. Erste wirkliche Hilfe erfuhr sie, als sie mit 20 Jahren in die Hochgebirgsklinik in Davos kam, eine deutsche Klinik in der Schweiz, die sich auf Atemwegs- und Lungenerkrankungen für Kinder und Erwachsene spezialisierte. Dort wurde sie auch zum ersten Mal auf verschiedene Allergene getestet. "Ich bin heute sehr zufrieden, wenn ich Eltern am Telefon durch meine eigenen Erfahrungen helfen kann. Ständiger Husten, der mit den üblichen Medikamenten wie Schleimlöser nicht weggeht oder langanhaltender Schnupfen und Augentränen sollten von einem Kinderarzt mit Schwerpunkt Asthma oder vom Facharzt abgeklärt werden." Aufgrund ihrer Arbeit machte sie die Erfahrung, dass manche Patienten erst nach mehrere Jahren in die richtige Behandlung kamen.

Ute Behschnitt erlernte den Beruf der Erzieherin, musste ihn dann aber wegen ihrer Krankheit mit 40 Jahren aufgeben. In diese Zeit fiel der Rat ihrer Therapeutin, und sie rief im Heidelberger Selbsthilfebüro an. Zusammen mit Rita Körber gründete sie den Ortsverband Heidelberg des Allergie- und Asthmabundes, der heute über 220 Mitglieder aus Heidelberg und Umgebung zählt.

Einen hohen Stellenwert nimmt der Gesprächskreis ein. Jeden dritten Donnerstag im Monat treffen sich Mitglieder und ihre Angehörigen bei der AOK am Friedrich-Ebert-Platz 3. Erfahrungsaustausch über die Krankheit, Informationen und Hilfestellung stehen dabei im Mittelpunkt. Mit Hilfe wirksamer Medikamente kann der Asthmakranke heute gut mit seiner Krankheit umgehen. Ute Behschnitt will zudem die Eigenverantwortung der Patienten stärken, denn ein aufgeklärter Patient trage auch zur Kostendämpfung bei. Wichtig sei es, die speziellen Angebote zu nutzen und so die Lebensqualität zu verbessern.

Vorträge, Seminare, Sport, Freizeitaktivitäten sowie Kurse in Atemtherapie und Entspannung stehen auf dem Programm des Ortsverbandes. Als ein wichtiges Element ihrer Arbeit bezeichnet Ute Behschnitt die Telefonberatung, die sie von zu Hause leistet. Oft rufen Patienten bei ihr an, die gerade die Diagnose Asthma erhalten haben, und holen bei ihr Rat. Andere möchten Hilfen im Alltag zur Bekämpfung der Hausstaubmilbenallergien, oder sie suchen ein rauchfreies Lokal in Heidelberg.

Ute Behschnitt gibt viel, aber sie erhält auch viel zurück: " Ich bekomme Anerkennung und positive Rückmeldungen, lerne interessante Menschen kennen und nehme als Privatperson mehr am öffentlichen Leben teil." Es sei ein gutes Gefühl und eine Selbstbestätigung, wenn man durch Weitergabe seines Wissens anderen ein Stück weit Hilfe geben kann, ihre neue Lebenssituation mit der Krankheit zu verbessern.

Gegenwärtig hat Ute Behschnitt eine Sorge. Sie befürchtet, dass durch die Gesundheitsreform aus Kostengründen Asthma-Kranken sehr wirksame, aber teure Medikamente nicht mehr verordnet werden können. Doch sei für die Krankenkassen eine gute Einstellung des Patienten unter dem Strich kostengünstiger als Notfallsituationen oder Notfalleinweisungen in die Klinik. Auch würden Folgeerkrankungen vermieden werden können.
Infotelefon: 06221/ 41 14 18 (mit Anrufbeantworter)
RNZ vom 4.1.2002, Ingeborg Tzschaschel

Zum Allergiker- und Asthmatikerbund e.V.

 

 

Selbsthilfegruppen für orphan diseases, seltene Erkrankungen

Menschen mit seltenen Krankheiten warten nicht einfach auf bessere Medikamente. Selbsthilfegruppen organisieren und bezahlen die Forschung . Von Thomas Häusler und Achim Wüsthof

Für seine Tochter kommt jede Hoffnung zu spät. Thomas Baum weiß, dass seine Arbeit in der Selbsthilfegruppe bestenfalls eines Tages anderen Kindern helfen wird. Baums Tochter hat Mukopolysaccharidose. Für die seltene Stoffwechselerkrankung gibt es keine Therapie, und sie verläuft fast immer tödlich. Damit vielleicht ein Medikament gefunden wird, das die Krankheit aufhält und der nur 110 Zentimeter großen 15-Jährigen weitere Operationen erspart, investiert der von Eltern gegründete Verein allein in diesem Jahr rund 150 000 Mark in die Forschung.

Mit solch tatkräftiger Einmischung in die Medikamentenforschung proben auch andere Patientenorganisationen nun den Aufstand gegen das Schicksal. Sie beschränken sich nicht länger auf seelischen Beistand für ihre Mitglieder oder Rat bei der Arztwahl, sondern finanzieren medizinische Forschungsprojekte, vor allem zur Entwicklung von Arzneien für so genannte orphan diseases - seltene Erkrankungen, von denen es mehr als 5000 gibt. Die Berliner Selbsthilfegruppen-Vereinigung Nakos hat Gruppen für rund 200 dieser seltenen Leiden in den "blauen Adressen" zusammengetragen. Die Liste reicht von der Chromosomenstörung 11q-Syndrom bis hin zur Zellophanmakulopathie - beides Krankheiten, von denen die meisten Ärzte nie etwas gehört haben.

In allen Bereichen der Medizin sind Patienten und ihre Angehörigen dabei, durch handfeste Wissenschaftsförderung etwas gegen ihre Leiden zu tun. Neue Strukturen machen es möglich:

  • Das Internet hat das Informationsmonopol von Ärzten und Forschern gesprengt, und die rot-grüne Bundesregierung hat die gesetzlichen Krankenkassen per Gesetz verpflichtet, Selbsthilfegruppen mit einer Mark pro Versichertem zu fördern.
  • Zudem trat im Jahr 2000 in Europa die Orphan-Drug-Verordnung in Kraft, mit der die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Erkrankungen unterstützt wird - nach EU-Definition Leiden, die weniger als fünf Patienten pro 10 000 Einwohner betreffen. Das können bis zu 185 000 Europäer sein.

Für Big Pharma sind solche Patientenzahlen dennoch zu gering, die Märkte zu klein, um Medikamente für orphan diseases zu entwickeln. Solch exotischer Leiden, an denen in Deutschland im Extremfall nur zwei Patienten leiden, nehmen sich allenfalls kleine Unternehmen wie das 1990 in Paris gegründete Orphan Europe an. "Uns sprechen die Selbsthilfegruppen direkt an", sagt Eberhard Kroll von der deutschen Dependance der Firma. "Wenn nicht wir, wer dann?", fragt Thomas Baum, der sich als Partner der Wissenschaftler sieht und auf Erfolge aus den Labors setzt. Ein Beispiel sind die von seinem Verein gesponserten molekularbiologischen Untersuchungen in der Uni-Kinderklinik Hamburg, die als möglicher Schlüssel für eine Therapie der Mukopolysaccharidose gelten. Das Ziel der Forscher: zu verhindern, dass sich wegen eines defekten Enzyms langkettige Zuckerverbindungen ablagern, die das Wachstum stören und die Nervenzellen bedrohen - bis Lähmungen auftreten.

Manche Selbsthilfegruppen nehmen ihre Bezeichnung noch weitaus wörtlicher: Sie geben nicht nur gezielt Geld, sondern forschen gleich selbst. Patrick und Sharon Terry gründeten 1995 die Selbsthilfegruppe PXE International, um schneller an medizinische Hilfe für ihre zwei Kinder zu kommen, die an der genetischen Krankheit Pseudoxanthema elasticum (PXE) leiden, von der in Deutschland schätzungsweise 600 Menschen betroffen sind.

Genpatent in Patientenhand

Die Terrys wurden zu Freizeitforschern, nachdem bei ihren damals sechs- und achtjährigen Kindern Ian und Elizabeth PXE diagnostiziert wurde. Bei dem Leiden wird Kalzium in Haut, Arterien und Netzhaut eingelagert. Als Folge können die Augen degenerieren und Durchblutungsstörungen auftreten. Die Eltern machten sich ohne Respekt vor der Medizin an die Arbeit. "Wir dachten, eine Behandlung zu finden sollte nicht schwerer sein, als ein Bauprojekt zu führen, wie es mein Mann in seinem Job tut", sagt Sharon Terry. Als Start hat das Ehepaar eine Blutbank von PXE-Kranken aufgebaut - eine Aufgabe, die bisher Wissenschaftlern vorbehalten war. Vorletztes Jahr hat die ungewöhnliche Liaison den ersten Erfolg verbucht: Zwei Labors haben mithilfe der Blutbank das PXE-Gen gefunden. Und PXE International ist weltweit als erste Patientenorganisation Mitinhaber eines Patents für ein Krankheitsgen geworden.

Die Reaktion der Forscher auf die unerwartete Einmischung pendelt zwischen Ablehnung und Zustimmung. "Es gab Forscher, die nicht mit uns arbeiten wollten", sagt Sharon Terry. Charles Boyd von der Universität Hawaii ist einer der Wissenschaftler, die das PXE-Gen fanden. Er ist voll des Lobes: "Sie leistet wissenschaftlich unheimlich viel." Daher wurde Terry in zwei Publikationen als Mitentdeckerin des PXE-Gens genannt. Positiv äußert sich auch die Biologin Judith Tsipis von der Brandeis-Universität, Waltham, USA. Es sei gut, dass PXE International die Kontrolle über die Blutproben und das Teilpatent halte. Denn viele Institute wollten exklusive Rechte auf Gene, was die freie Forschung unmöglich mache, kritisiert Tsipis, die selbst ein Kind wegen einer genetischen Krankheit verloren hat.

Die neue "Patienten-Power" (New Scientist) macht sich derweil in vielen Gebieten bemerkbar. Sie führt zu verbesserten Krebsstudien, hat einer pragmatischen Behandlung von Aids-Patienten den Weg geebnet oder einem besseren Informationsaustausch unter Menschen mit seltenen Erkrankungen. Zuletzt hat der Pharmagigant Novartis spüren müssen, wie viel Druck das Engagement auch weniger Patienten erzeugen kann: In frühen Tests erwies sich sein Wirkstoff STI 571 als sehr erfolgreich gegen chronisch-myeloische Leukämie (CML), eine Form des Blutkrebses. Die Resultate sickerten über das Internet zu den gut organisierten CML-Kranken. "Die Betroffenen eröffneten Websites, um STI 571 bekannt zu machen", staunt Jean Gloor, der für das Medikament zuständige Marketingmanager. 4000 CML-Kranke verlangten zwei Tage nach Bekanntwerden der ersten Daten im Netz, Novartis solle die Produktion des Versuchsstoffs ausweiten, um ihn schneller durch die Tests zu peitschen. Mit Erfolg. STI 571 kam - viel früher als geplant - unter dem Namen Glivec auf den Markt. Der Triumph der CML-Kranken ist umso größer, als Glivec wohl kein Kassenschlager wird. Seine Wirksamkeit ist nur bei der recht seltenen CML getestet.

Nur die Aids-Aktivisten erreichten ähnlichen Einfluss, als sie vor zehn Jahren mit massivem Druck den rascheren Einsatz einiger Medikamente erzwangen. Ihre Schlagkraft war damals - anders als bei den viel selteneren CML-Kranken - in den rapide steigenden Patientenzahlen begründet. Diesen Unterschied macht das Internet nun wett. Pharma-Manager sehen die Aktion der CML-Aktivisten als Brise vor dem Sturm. "Ich erwarte, dass wir von Patienten viel Druck bekommen", gestand Paulo Costa, Chef von Novartis USA im Fachblatt Pharmaceutical Executive, "und wir werden lernen müssen, darauf einzugehen."

Schnell gelernt haben die Patienten, vor allem den Umgang mit dem Internet. Noch vor zwei Jahren waren manche Ärzte überrascht und nicht wenige genervt, wenn Patienten ihnen ihre Recherchen gleich stapelweise auf den Tisch legten und über die neuesten Therapien diskutieren wollten. Eine Studie unter 12 000 US-Internet-Nutzern zeigt, dass 55 Prozent das Netz für Gesundheitsinformationen konsultieren. Schon jetzt habe sich das Verhältnis Arzt/Patient dadurch stark verändert, vermuten Gesundheitsexperten.

Dabei wird es nicht bleiben. Surfende Kranke hebeln bereits nationale Gesundheitsvorschriften aus, indem sie in Massen nach Therapien verlangen, die in ihrem Land nicht erhältlich sind. Noch nicht zugelassene Arzneien besorgen sie sich per Internet-Apotheke.

Selbsthilfe wird Pharmafirma
Die Pharmaindustrie hat entdeckt, dass es dem Image mehr nützt, eine Selbsthilfegruppe zu unterstützen, als Luxusreisen für Ärzte zu finanzieren. Das Engagement wirkt honorig und ist zugleich eine effiziente Werbeplattform. Großzügig finanzieren die Medikamentenhersteller Selbsthilfekongresse und bieten sogar Sponsoringkurse an. Bei der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft sind die Firmen besonders aktiv. Von der Homepage der Patientenorganisation gibt es direkte Links zu den Produkten gegen die Degenerationserkrankung. Immerhin gelten die rund 120 000 Betroffenen hierzulande als interessanter Markt für die teuren Medikamente.

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In Großbritannien plant das Gesundheitsministerium sogar, den umgekehrten Weg zu gehen. In den nächsten sechs Jahren sollen dort Wissen und Erfahrungen von Patienten mit chronischen Erkrankungen systematisch in die Krankenversorgung einbezogen werden. Immerhin zwei Millionen Pfund jährlich werden für das "Expertenpatient"-System ausgegeben werden. Auf Dauer, sagte Britanniens oberster Arzt Liam Donaldson, erfordere das neue Schema von den Ärzten eine andere Haltung gegenüber den Kranken, die wohl bereits an der Universität gelehrt werden müsse: Es gehe um mehr, als den Patienten ein paar gute Websites zu empfehlen, sagt Donaldson, "wir wollen sie ausbilden und zu gleichberechtigten Partnern im Gesundheitssystem machen".

Von Thomas Häusler und Achim Wüsthof, Die Zeit 02/2002
Kompletter Artikel hier:
http://www.zeit.de/2002/02/Wissen/200202_patienten.html
 

 

Artikel von Ingeborg Tzschaschel

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